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Chantal Müller, die einzige Nachwuchsreiterin, die auf die nächste Saison in den Elitekader aufgenommen wird.
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Dreamteam fürs Leben

24.11.2015 13:45
von  Florian Brauchli //

Wenn man das aufstrebendste Jungtalent des Schweizer Springsports nennen müsste – ihr Name würde oft fallen: Chantal Müller. Die 21-Jährige gewann auf U Tabasca als Junge Reiterin Team-Gold an der Europameisterschaft 2013 und Einzel-Gold an der Schweizer Meisterschaft in diesem Herbst. Nun wurde sie als einzige Nachwuchsreiterin in den Elitekader berufen. Das Paar Müller-U Tabasca ist untrennbar miteinander verbunden. Die Schimmelstute wurde von Chantals Vater gezüchtet und verbrachte ihr ganzes Leben auf dem familieneigenen Reitbetrieb. Die als unverkäuflich bezeichnete Stute wird also auch weiter unter der Veltheimerin in den grossen Springsportarenen für Furore sorgen.

Chantal Müller und ihr Traumpferd U Tabasca.

In Veltheim, am Fusse der Gisliflue – dem östlichsten Ausläufer des Juragebirges – liegt das über 700 Jahre alte Schloss Wildenstein auf einem Felsvorsprung mit herrlichem Blick über das Schenkenbergertal, in dem die Aare fliesst. Sie erhebt sich majestätisch aus den Schwaden des Herbstnebels, der hier oft besonders hartnäckig liegt. Die angrenzenden Wälder laden zu Spaziergängen ein, oder – wie im Fall von Chantal Müller und ihrer Familie, die nur 500 Meter vom Schloss entfernt ihre Pferdesportanlage betreiben – zu Ausritten. Seit 1982 ist die Pferdesportfamilie in Veltheim, sechs Kilometer südwestlich von Aarau, zu Hause.

Die «Müller-Girls» Adrienne, Marielle und Chantal zusammen mit dem Holsteiner Chijioke und den beiden Hunden Lili und Lou.

Musik- und Pferdefamilie

Chantal Müller wird am 17. März 1994 in eine Familie hineingeboren, die sowohl im Pferdesport als auch in der Musik tief verankert ist. Mutter Annette war begeisterte Springreiterin, fand aber auch Gefallen am Musizieren. Zusammen mit ihren vier Geschwistern und ihren Eltern Heinz und Susette Merz-Hauri traten sie als «Familienkapelle Merzenblüemli» auf. Die Musikalität hat sich bei der ältes­ten Tochter Chantal nicht durchgesetzt, ganz im Gegensatz zur Liebe zu den Pferden. «Ich habe zwar Flöte und Geige gespielt, aber ich wollte einfach immer nur auf dem Pferd sitzen», so die 21-Jährige. Und auf dem Rücken der Vierbeiner sass sie mit ihrer Mutter schon, als sie noch nicht einmal gehen konnte. Die Springreiter-gene haben in der ganzen Verwandtschaft ihre Wurzeln. So ist zum Beispiel der Urgrossvater von Chantal der Onkel von Max und Heidi Hauri. Neben Chantal frönen auch ihre beiden jüngeren Schwestern Adrien­ne (19 Jahre) und Marielle (13) dem Pferdesport. «Drei Töchter, die alle reiten, bedeuten sehr viel Arbeit. Aber wir sind eine Familie, halten zusammen und helfen uns, wo wir können», so Annette Müller.

Chantal Müller und ihre Grosseltern Heinz und Susette Merz-Hauri.

Reiten, reiten, reiten

«Wenn man in einer Reit­sportfamilie aufwächst mit einem Stall voller Pferde, kommt man als Mädchen irgendwie automatisch auch zum Reitsport», erzählt die sportbegeisterte Chantal. Schon im Kindergarten habe sie am Morgen im Stall mitgeholfen. Neben Reiten ist sie auch eine sehr begabte Skifahrerin, was ebenfalls eine Möglichkeit geboten hätte, eine Karriere zu lancieren. «Und wenn ich als Junge geboren worden wäre, hätte ich Formel-1-Fahrer werden wollen.» Doch statt mit über 800 PS ist sie nun seit ihren Kindertagen mit nur einer Pferdestärke unterwegs – dies jedoch hoch erfolgreich. Seit dem Beginn ihrer Karriere trainiert sie sozusagen «in der Familie». Heidi Hauri, die 1984 an den Olympischen Spielen in Los Angeles (USA) Einzel-Bronze gewann, nahm Chantal unter ihre Fittiche. «Ich hatte schon Reitstunden bei Heidi, als ich noch Pony geritten bin», erinnert sich die Absolventin der Kantonsschule Aarau. «Sie ist neben meiner Familie meine grösste Förderin.» Die mittlerweile 65-jährige Hauri hat nur lobende Worte für ihre Schülerin. «Chantal hat einen grossen Willen und sie hat ein tolle Einstellung zum Sport. Darüber hinaus ist es eine tolle Zusammenarbeit – wenn wir anderer Meinung sind, diskutieren wir das – miteinander als Team.»

Traumpferd «Täbi»

2003 hatte Chantals Vater Hanspeter die Idee, Zuchtstute Galaxy (von Coriolan) mit dem legendären Holsteiner-Hengst Cassini I anzupaaren. Knapp ein Jahr später erblickte Stutfohlen U Tabasca auf dem Hof der Familie Müller das Licht der Welt. Die mittlerweile elf Jahre alte Holsteinerin ist von Beginn an bei Müllers auf- und ans Herz gewachsen. Ohne ihre «Täbi», wie sie liebevoll genannt wird, wäre das Leben der «Rösseler-Familie» nicht komplett. «Wir haben sie selbst aufgezogen und angeritten. Ich reite ‘Täbi’ seit sie vier Jahre alt ist und habe nun alle Nachwuchsstufen mit ihr absolviert. Ohne sie wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin, deshalb ist sie auch absolut unverkäuflich.» U Tabasca sei ein absolutes Traumpferd, sagt ihre Reiterin. «Täbi hat eigentlich im Sport keine Schwächen, sie ist sehr vermögend, mutig und will immer ihr Bestes geben. Im Stall ist sie aber manchmal sehr zickig.»

Seit Jahren ein Traumpaar: Chantal Müller und die Holsteiner-Stute U Tabasca.

Neben U Tabasca will Müller in der nächsten Saison vermehrt auch auf den Holsteiner Chijioke setzen. Der nur 160 Zentimeter grosse neunjährige Casall-Sohn steht seit Juli bei ihr im Stall und gehört ihrer Cousine Nina Weck, die in Norddeutschland lebt. «‘Chichi’ braucht aufgrund seiner geringen Grösse viel Vertrauen vom Reiter. Er hat sehr viel Vermögen, aber manchmal steht er sich selbst ein bisschen im Weg. Zu Hause ist er ein Frechdachs – wenn man ihn nicht tagtäglich arbeitet, hat er nur Flausen im Kopf.» Der Holsteiner soll U Tabasca in den schweren Springen entlasten. Auch für «Nachschub» ist gesorgt – mit den sechsjährigen Viagra de la Cense und Kinky Kylie sowie dem fünfjährigen Cuche stehen bereits einige Zukunftshoffnungen bereit. Die weiteren Vierbeiner im Stall Müller heissen Ray Charles CH, Cittadino und Wonderful Wendy, die von ihren Schwestern geritten werden.

2013 gewann Chantal Müller (2.v.r.)  zusammen mit Martin Fuchs, Annina Züger und ­Emilie Stampfli EM-Gold bei den Jungen Reitern.

Von den Junioren zur Elite

Der Höhepunkt des Traumpaares «Täbi» und Chantal im Nachwuchsbereich erfolgte im Jahr 2013, als sie Mitglied der Jungen-Reiter-Equipe waren, die im spanischen Vejer de la Frontera EM-Gold gewannen. 2015 sollte dann zum Abschluss der Karriere bei den Nachwuchsreitern eine Einzelmedaille an der EM in Wiener Neustadt folgen – doch daraus wur­de nichts. Das Paar schied in der ersten Runde des Nationenpreises nach einem Sturz nach Sprung eins aus – die Enttäuschung war riesig. Die Rehabilitation folgte an der Schweizer Meisterschaft in Sion, wo sie endlich die ers­te Goldmedaille an einem Championat erringen konnten. Die guten Leistungen von Müller und U Tabasca blieben auch dem Teamchef der Elite, Andy Kistler, nicht verborgen. 2015 konnten sie bereits einige Einsätze an Vier- und Fünfsternturnieren ab­solvieren. In einem Springen über 155 Zentimeter belegten sie am grossen CHIO Aachen den hervorragenden vierten Platz. Der Lohn der Arbeit ist nun die Berufung als «Espoir» in den Elitekader. Zwei Jahre hat sie nun Zeit, hier Fuss zu fassen. «Chantal ist sehr sympathisch, ehrgeizig und anständig. Zusammen mit U Tabasca bildet sie ein super Team, das bereits einige tolle Resultate liefern konnte», so Kistler. Das Ziel sei, dass Müller nun in den nächsten beiden Jahren sporadisch in Nationenpreisen auf Drei- und Fünfsternniveau zum Einsatz komme. «Es ist für mich eine grosse Ehre und Chance, im Elitekader mitzureiten. Ich will versuchen, mich zu etablieren und viele gute Ergebnisse zu erzielen.» Ihr Ehrgeiz sei eine ihrer grossen Stärken, aber vielleicht auch eine der Schwächen. Es sei nicht immer einfach um sie herum, wenn es auf dem Pferd mal nicht optimal lief, sagt sie.

Beerbaum, Cuche, Vettel

Ein Meilenstein in der Karriere von Chantal Müller war auch die Aufnahme in der Young Rider Academy – einer Institution zur Förderung talentierter Nachwuchsreiter. Jedes Jahr werden nur einige wenige Talente ausgewählt, um im Sinne eines Stipendiums bei Top-Stars zu trainieren. Die Veltheimerin war einige Monate bei Ludger Beerbaum im deutschen Riesenbeck stationiert. Eine Zeit, die ihr sehr viel brachte, wie sie sagt. «Ludger ist unglaublich – ein grosses Vorbild. Nicht nur auf dem Pferd, sondern auch wie er seine Tiere managt und mit ihnen umgeht. Seine Art und die Ruhe, die er ausstrahlt, haben mich sehr beeindruckt. Und wenn ich mal so reiten kann wie er, dann habe ich mein Lebensziel erreicht.» In der Zeit in Deutschland habe sie vor allem gelernt, die Übersicht im Parcours zu behalten und einen gleichmässigen Rhythmus durchzuziehen. Neben ­Beerbaum hat Chantal zwei weitere Vorbilder: den Schweizer Ski­rennfahrer Didier Cuche und den vierfachen Formel-1-Welt­meis­ter Sebas­tian Vettel aus Deutschland.

Chantal Müller bei ihrer zweiten Leidenschaft, dem Skifahren.

Zehn Pferde statt Schulbücher

Im Sommer 2014 schloss Müller erfolgreich die Kantonsschule Aa­rau mit Schwerpunkt Biochemie ab. «Daneben hatte ich Psychologie im Ergänzungsfach. Ich hatte auch vor, ein Psychologiestudium zu beginnen, doch im Sport läuft es im Moment so gut, dass ich beschlossen habe, vorerst mit dem Studieren zu warten. Sie könne sich aber auch vorstellen, einmal als Pädagogin zu arbeiten – aber dies habe noch Zeit. Statt Schulbücher zu wälzen, reitet die Veltheimerin nun bis zu zehn Pferde pro Tag. «Ich bin zu 50 Prozent im Handelsstall von Max Hauri angestellt, wo ich jeden Tag fünf Pferde reite. Daneben bewege ich zwischen drei und fünf meiner eigenen Pferde.» Die Tage sind somit prall gefüllt, für Hobbys bleibt da keine Zeit. Im Winter schnallt sie sich aber gerne mal die Skier an und eifert ihren Lieblingsfahrern wie Marcel Hirscher, Ted Ligety oder Felix Neureuther nach. Lange hält sie es aber nicht ohne ihre Vierbeiner aus – sie sind ihr Ein und Alles. Das Funkeln in den Augen der jungen Reiterin, wenn sie von ihnen spricht, bestätigt dies eindrücklich. «Ich habe meine Pferde einfach unglaublich gern. Es ist nicht nur der Sport, der an erster Stelle steht, sondern auch die Zusammenarbeit und das Teambuilding mit den Pferden.»

Grosse Träume – grosse Ziele

Ein erster Traum von Chantal Müller geht bereits in wenigen Wochen in Erfüllung. Sie erhielt eine Einladung für den Fünfstern-CSI von Genf. «Es ist genial, einmal in Genf zu starten.» Ihr Lieblingsturnier durfte sie ebenfalls bereits bestreiten – den CHIO Aachen. «In die Aachener Arena einzureiten, ist der Wahnsinn. Diese spezielle Atmosphäre ist einzigartig. Man hat nicht mal viel Zeit, nervös zu sein, weil alles so beeindruckend ist.» 2016 will sie die Chancen, die ihr der Elitekader bietet, so gut wie möglich nutzen. «Einmal als Teamreiterin für die Schweiz in einem Nationenpreis reiten, wäre super.» Ein grosses Karriereziel ist – wie bei jedem ambitionierten Pferdesportler – eine Teilnahme an einem Elite-Championat. «Das ist das, wofür man Tag für Tag trainiert.» Sicher ist, dass man auch in Zukunft noch so einiges von Chantal Müller und der sprunggewaltigen Schimmelstute U Tabasca hören wird.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 46/2015)

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