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Besitzer Peter Baumgartner (Mitte) gewann im Juni 2014 das Swiss Derby zum sechsten Mal. Das Siegerpferd Oak Harbour hatte er erst kurz vor dem Derby erworben.
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«Entweder mache ich etwas richtig oder gar nicht»

28.10.2014 10:41
von  Willi Bär //

Peter Baumgartner war Springreiter und zweifacher Schweizer Meister im Einspänner-Fahren. Vom Rennsport wollte er lange nichts wissen. Doch nachdem ihn der Turf-Virus einmal befallen hatte, war er nicht mehr zu bremsen. Seine Pferde gewannen in der Schweiz alles, was es zu gewinnen gab und brillierten auch im Ausland.

Aufgewachsen ist Peter Baumgartner im thurgauischen Sirnach, wo sein Grossvater als Viehhändler und Gemeindeammann eine zentrale Figur war. Schon als Knirps lernte er auf dem Hof  seiner Eltern den Umgang mit Reit- und Kutschenpferden. Sein Vater Guido war Hauptmann der Kavallerie, bestritt an den Wochenenden Springkonkurrenzen und Hindernisrennen.

Der damals zwölfjährige Peter Baumgartner mit seinem jüngsten Bruder Heinz.

«Am Mittags­tisch gab es nur zwei Themen: Pferde und Militär. Wenn wir eine Veranstaltung besuchten, hatte diese immer mit Pferden zu tun.» In der Zeit des zweiten Weltkrieges zeigte Peter zusammen mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Mario erstmals sein Talent als Händler. «Wir haben alles gemacht, was Geld einbrachte.» Sie lasen auf den Feldern Ähren und Kartoffeln, sammelten im Wald Misteln und vor allem züchteten sie Kaninchen. Deren Fleisch war in Zeiten der Lebensmittelrationierung begehrt, in der Spitzenzeit hatten sie bis zu 150 «Chüngel». Mit dem erwirtschafteten Geld kauften die beiden Brüder noch als Jugendliche 1948 für 1500 Franken ihr erstes Pferd.

Traum von der Farm in Amerika

Als Bub verbrachte Peter die Ferien jeweils bei seiner Grossmutter in Zürich. Dort sah er Fotos einer Farm in Kanada. Diese Bilder beeindruckten ihn so sehr, dass er selbst Farmer in Nordamerika werden wollte. Nachdem er im Zürcher Strickhof die Ausbildung zum Landwirt mit Diplom abgeschlossen hatte, flog er tatsächlich in die USA, um dort seinen Bubentraum zu realisieren. Doch die erschwinglichen Farmen, die er in Augenschein nahm, waren so abgelegen, dass er sie «nicht einmal gratis genommen hätte».

Leutnant Peter Baumgartner auf Nachtigall 1956 am heimischen Concours in Wil.

Zurück in der Schweiz arbeitete er zuerst beim Volg, wechselte dann zur Basler Chemiefirma Sandoz, für die er in der Ostschweiz als Pflanzenschutzberater tä­tig war. Dabei traf er in Bottighofen auf einen Apfelbauer, der aufgrund einer Gehbehinderung sein in der Bauzone gelegenes Land verkaufen wollte. Peter Baumgartner nahm ein Darlehen auf, erwarb das Land zu einem Quadratmeterpreis von 12 Franken und verkaufte einen Teil für das Doppelte weiter. Auf dem restlichen Grund baute er mit einem Partner ein Dutzend Einfamilienhäuschen. Da die Firma Sandoz seine Nebengeschäfte nicht tolerieren wollte, wurde Anfang der Sechzigerjahre aus dem Sandoz-Angestellten ein selbstständiger Immobilienhändler.

Springen und Fahren

Während Peter Baumgartner in den folgenden Jahren sein Immobilien-Imperium aufbaute, gehörte seine Freizeit weitgehend der Springreiterei. Abend für Abend stieg er in den Sattel und trainierte zusammen mit seinem Bruder Mario, der bereits im Alter von 21 Jahren in Sirnach ein eigenes Architekturbüro eröffnet hatte. Während Peter nicht über die Kategorie M hinauskam, erreichte Mario internationales Format, nahm als Nationenpreis­reiter an allen grossen Springen Europas teil. Seine bekanntesten Pferde waren Waldersee, Donauschwalbe oder Frusca. Nach einem Streit mit Bruder Mario gab Peter Baumgartner Ende der Sechzigerjahre den Concours-Sport auf. Anstatt in den Springsattel setzte er sich nun auf den Bock eines Einspänners.

1980/81 wurde Baumgartner mit Piccolo zweimal Schweizermeister bei den Einspänner-Fahrern.

Er übte nicht im Gelände, sondern in einer 60 Meter langen Halle, die er zu diesem Zweck hatte erstellen lassen. 1980 wurde er im waadtländischen Puidoux mit Piccolo Schweizer­meister bei den Einspännern. «Eigentlich hatte ich damit mein Ziel erreicht. Doch damit es nicht hiess, es sei nur Glück und Zufall gewesen, trat ich nächstes Jahr noch einmal an.» Nach dem zweiten Titel zog Peter Baumgartner einen Schluss­strich unter das Kapitel Fahren und verkaufte sein gesamtes Material.

Begegnung mit André Fabre

Bis Ende der Siebzigerjahre hatte Peter Baumgartner den Rennsport ignoriert. «Wenn ich an Pfingsten nach Frauenfeld fuhr, sah ich mir die Rennen nie an, sondern fuhr nach dem Springen wieder nach Hause. Die Hinwendung zum Rennsport begann mit einem Telefonanruf seines Bruders. Mario beabsichtigte für eine Bereiterin zwei Rennpferde zu kaufen und bat Peter, ihn nach New­market an die Jährlingsauktion zu begleiten. So fuhren die beiden Vollblut-Laien in die englische Turf-Hauptstadt und kehrten mit zwei Hengsten, einem Manado- und einem So Blessed-Sohn zurück. Peter Baumgartner nahm die beiden Youngster über den Winter zu sich. Im Jahr darauf fuhr er nach Chantilly, der Trainingszentrale des französischen Galopprennsports, die rund 40 Kilometer nördlich von Paris liegt. Erstes Ziel war der Stall des Schweizers René H. Andretto, doch was Peter Baumgartner dort sah, gefiel ihm nicht. So klapperte er Hof um Hof ab, bis er einen fand, der ihm einen guten Eindruck machte. «Als ein kleines Männchen auf mich zukam, fragte ich nach dem Chef. Er meinte, das sei er selbst und stellte sich mit André Fabre vor.» Fabre, inzwischen 25-facher französischer Champion und einer der erfolgreichs­ten Galopptrainer aller ­Zeiten, stand damals am Anfang seiner Karriere. Nach dem Tod von Andre Adèle hatte er dessen Stall übernommen. Fabre, zuvor ein erfolgreicher Hindernisjockey, der trotz einem abgeschlossen Jus-Studium auf den Rennsport gesetzt hatte, betreute damals fast ausschliesslich Hindernispferde. Trotzdem gab Peter Baumgartner die beiden in Newmarket ersteigerten Pferde, Sandy II und Mike, die ihm inzwischen von seinem Bruder überantwortet worden waren, zu André Fabre ins Training. Während Sandy II bis zu einer fatalen Verletzung in Paris eine gute Figur machte und neben einem Sieg diverse weitere Spitzenplatzierungen erreichte, verkaufte er den Manado-Sohn Mike «mangels Geschwindigkeit» an Jakob Lenhard, der ihn mit einigem Erfolg in deutschen Hindernisrennen einsetzte.

Dayzaan und Imyar

Als Peter Baumgartner wieder einmal zu Besuch bei André Fabre weilte, nahm dieser den langen Ostschweizer mit in den Aga Khan-Stall, wo er einige zum Kauf stehende Dreijährige besichtigen wollte. In einer Boxe stand ein Dunkelbrauner, der Baumgartner sofort ins Auge stach: «Eine richtige Maschine von einem Pferd.» Der Riverman-Sohn namens Dayzaan gehörte nicht zu den angebotenen Pferden, hatte er doch eine Sehnenverletzung erlitten und deshalb einbandagierte Beine. Trotzdem erwarb Peter Baumgartner den bereits vierjährigen Wallach und nahm ihn zu sich nach Hause. Dort pflegte er ihn, fütterte ihn gut und bewegte ihn an der Longe. «Trainer Fabre riet mir ab, den Fünfjährigen noch­mals ins Training zu geben, doch ich setzte mich durch und brachte ihn mit dem Anhänger nach Chantilly. Als ich den Prachtskerl dort auslud, meinte er: «Jetzt verstehe ich Sie.» In den folgenden Jahren gelang Dayzaan eine erstaunliche Karriere. Nachdem er bereits 1982 in Paris zwei Rennen gewonnen hatte, erreichte er 1983 als Siebenjähriger seinen Zenit. Zuerst reüssierte er in Paris und Deauville, ehe er zum Saisonschluss die hoch dotierten Grand Prix-Rennen von Lyon und Marseille für sich entschied. Parallel zu Dayzaan sorgte mit Imyar ein zweiter ehemaliger Aga Khan-Vollblüter unter den grün-weissen Baumgartner-Farben für Furore. Nachdem Imyar als Dreijähriger in Paris-Auteuil drei Hürdenrennen gewonnen hatte, kehrte er im folgenden Jahr auf die Flachbahn zurück. Zum Erstaunen der meis­ten Beobachter suchte Fabre für den Vierjährigen nicht etwa eine leichte Aufgabe aus, sondern er schickte ihn direkt in das ers­te Gruppe-Rennen der Saison, den Prix Exbury. Als Peter Baumgartner las, was die französische Fachpresse über die Chancen seines Pferdes schrieb, hätte er den krassen Aussenseiter am liebsten zurückgezogen. Doch Fabre wusste genau, was er tat: Imyar gewann das Rennen Start-Ziel.

Die Schweizer Phase

Liefen Peter Baumgartners Vollblüter zu Beginn fast ausschliesslich auf französischen Bahnen, nahm er ab Mitte der 1980er-Jahre die grossen Schweizer Rennen ins Visier. Dazu erwarb er in Frankreich Pferde, die er auch dort trainieren liess. Diese Strategie war nicht ganz billig – Peter Baumgartner zahlte in der Regel für einen klassischen Sieger zwischen 100000 und 200000 Franken – , aber erfolgreich, denn wenn eines seiner Pferde antrat, hatte es stets eine erste Chance. 1985 gewann der von ihm in der Ostschweiz selbst gezüchtete Inländer Tacaro das St. Leger, nachdem er als Saisondebütant im Derby Zweiter geworden war. Santa Anita Jet triumphierte im Prix de Diane. Am Ende des Jahres stand Peter Baumgartner erstmals als Besitzerchampion fest. «Zuerst wurde ich in der Schweiz mit offenen Armen empfangen», erinnert er sich. «Man war froh, dass ich den Stall Aintree abgelöst hatte.» Hinter dem Stall Aintree steckte Otto Sami, im Zürcher Milieu und der Boulevardpresse «Diamanten-Sami» genannt. Zudem brachte Baumgartner Publizität und damit mehr Besucher auf die Rennbahn, denn mit seinen Pferden kamen weltberühmte Jockeys wie Lester Pigott, Cash Asmussen oder Roger Duchêne in die Schweiz. Nach ein paar Jahren, in denen die Baumgartner-Galopper die Siegprämien der lukrativsten Schweizer Rennen serienweise abgeräumt hatten, schlug die Stimmung um. «Bei einer Siegerehrung meinte ein Rennvereinspräsident zu mir: «Jetzt reicht’s allmählich.»

Das Jahr der Rekorde

Eine Sonderstellung innerhalb der Schweizer Phase nimmt die Saison 1991 ein. Ob für dreijährige oder ältere Pferde, ob auf der Flachbahn oder über Hindernisse –  1991 trugen sämtliche Sieger der grossen Schweizer Rennen die grün-weissen Thurgauer-Farben von Peter Baumgartner. Die Stute Three Well siegte im Frühjahrspreis, der Stuten-Classic und dem St. Leger, Marinaio in den 2000 Guineas und im Gold Cup, Sassello im Grossen Preis der Schweiz. Noch erfolgreicher war Wacio. Der im Vergleich zu anderen Pferden billig erworbene Hengst gewann in Frauenfeld das Derby mit dem Rekordvorsprung von acht Längen und drei Monate später in Dielsdorf den GP Jockey Club. Dazwischen schrieb er sich auch in die Siegerlis­te des österreichischen und des türkischen Derbys ein.

1981 gewann der St. Galler das Österreichische Derby mit Wacio (unten). Da sich das Pferd weigerte den Siegerkranz zu tragen, sprang Baumgartner kurzerhand ein.

Nach seinem fünften Championatsgewinn im Jahr 1991 und einem Krach mit dem hiesigen Verband zog sich Peter Baumgartner weitgehend aus dem Schweizer Rennsport zu­rück. Eine Ausnahme war das Swiss Derby, das er 1994 dank Filao Beach zum fünften Mal für sich entscheiden konnte. Im Jahr darauf, als er Home Alone an den Start brachte, war er sich des erneuten Sieges sicher. Zu gut schien ihm sein Pferd. «Als es Richtung Ziel ging, zog Home Alone leicht in Front. Trainer Henri-Alex Pantall und ich wollten uns schon auf den Weg zur Siegerehrung machen, als plötzlich Solon auftauchte und an meinem Pferd vorbei flog.»

Erfolgreich über Hindernisse

Da der Selfmademan aus dem Thurgau sich bewusst war, dass er im Flachrenn­sport gegen die Rennställe von milliardenschweren Besitzern wie Aga Khan, Scheich Mohammed, Wildenstein, Niarchos oder den Gebrüdern Wertheimer auf die Dauer nicht würde bestehen können, konzentrierte er seine Aktivitäten in den 1990er-Jahren mit grossem Erfolg auf die Hindernisrennen. Dank Pferden wie Kimbi, Kitzitca, Sprong, True Brave oder Wacio gehörte Peter Baumgartner in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre zu den erfolgreichsten Besitzern in Frankreich.

Comeback in der Schweiz

Nach dem Ende der Karriere von Kimbi, der nun seinen Lebensabend auf einer Weide in der Ostschweiz geniesst, hatte er eigentlich mit dem Rennsport abgeschlossen, bis ihn diesen Frühling das Fieber erneut packte. Inzwischen erblindet und im Rollstuhl schickte er Köbi Rohr, mit dem er bereits früher zusammengearbeitet hatte, auf die Suche nach einem Derby-Pferd. Rohr fand in Frankreich Oak Harbour, der darauf in bes­ter Baumgartner-Tradition das Derby und einige Monate später auch das St. Leger für sich entschied.

Peter Baumgartner (r.) gewann 1991 das St. Leger in Luzern mit Three Well unter Alain Junk.

Einmal auf den Geschmack gekommen, wurde der Grosse Preis der Schweiz ins Visier genommen und mit Hilfe von Kemaliste auch abgeschossen. Jüngste Errungenschaft ist ein zweijähriger Hengst namens Shamal, der kürzlich in Deauville im Stil eines sehr guten Pferdes gewonnen hat. Er wird nun auf grössere Aufgaben vorbereitet.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 43/2014)

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