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Universität Hólum in Hólar í Hjaltadal (ISL).
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Reiten als Studiengang

10.01.2017 14:58
von  Noemi Ehrat //

Im Norden Islands gibt es die einzigartige Möglichkeit, Reiten zu studieren. Die wenigen Studienplätze in Hólar sind heiss begehrt – sowohl im In- wie im Ausland. Obwohl man Island heutzutage nach ihrem überraschenden EM-Erfolg am ehesten mit Fussball in Verbindung bringt, gibt es eine andere Sportart, die noch viel tiefer in der Insel im Norden verankert ist: das Reiten. Lange Zeit war es allerdings keine Freizeitaktivität, diente vielmehr dem Zweck, schnell von A nach B zu kommen. Erst in den letzten Jahrzehnten begann sich etwas zu entwickeln, das man heute als «Reitlehre» bezeichnen könnte. Wegbereiter in dieser Angelegenheit ist die Schule Hólar im Skagafjörður, im Norden Islands.

Fährt man mit dem Auto von der Hauptstadt Reyk­javik her durch die Gegend im Skagafjörður in Richtung der Schule in Hólar, sieht man auf beiden Seiten der Strasse die für Island typischen, schier unendlichen Pferdeweiden und komfortablen Reitwege. Ab und zu begegnet man Reitern, die mit einer freilaufenden Herde unterwegs sind, wie hier üblich. Kommt man durch die nächstgrössere Stadt, Sauðárkrókur, manifes­tiert sich die immer noch grosse Bedeutung des Pferdes in Form einer Pferdestatue des isländischen Künstlers Ragnar Kjartansson im Stadtzentrum. Es ist somit kein Zufall, dass die frühere Agrikulturschule in diesem abgelegenen isländischen Tal liegt. Der Bezirk Skagafjörður gilt als Mekka der Islandpferde, viele der berühmtesten Zuchthöfe liegen hier. Auch Hólar selbst hat eine herausragende Pferdezucht vorzuweisen, viele der Stuten haben einen Ehrenpreis für Nachkommen erhalten.

Bereits 1882 wurde in Hólar eine Landwirtschaftsschule gegründet, zuvor gab es eine zum Bischofssitz gehörige Domschule, welche 1106 gegründet und später zu einer Lateinschule umgewandelt wurde. Innerhalb der letzten fünfzehn Jahre entwickelte sich die sogenannte «Háskóli á Hólum» zu einer modernen Hochschule weiter. Die drei Departements Tourismus, Aquakultur und Fischbiologie und Pferdewissenschaften bieten mittlerweile Abschlüsse mit einem international anerkannten Bachelor-Degree an. Doch angekommen in Hólar, in einem Tal zwischen zwei Tafelbergen, sieht man zunächst nur eine Ansammlung von wenigen, unscheinbaren Gebäuden. Dazu gehören die berühmte Kirche und der ehemalige Bischofssitz ebenso wie das Universitätsgebäude und die Reitanlage. Nicht einmal eine Tankstelle oder einen Lebensmittelladen gibt es hier, dafür müssen die grösstenteils hier lebenden Studierenden in eine der nächsten Ortschaften fahren.

Reiten als Studienfach

Ende August trudeln die ersten Schüler ein. Zu Beginn sind nur die Erstsemestrigen da, später werden die oberen Klassen folgen. Im ersten Semester braucht man noch kein eigenes Pferd mitzubringen, man lernt von den Schulpferden. Diejenigen für die Zweitjahresstudenten werden nach einer längeren Sommerpause gerade von einem der Lehrer, Þórarinn Eymundsson, ausprobiert. Tóti, wie er von allen genannt wird, ist in den Reihen der Isländer wie auch international für seine herausragenden Turniererfolge bekannt. Hólars Lehrer sind alle hervorragende und erfahrene Reiter, darunter zwei der weltweit sechs Personen, die den Meistertitel des isländischen Trainerverbandes tragen dürfen.

Die meisten der 45 Schulpferde stammen aus der Zucht der Schule und sind durch ein Brandzeichen auf dem Rücken, ein Dreieck, gekennzeichnet. Zudem kommen laut Sveinn Ragnarsson, dem Leiter des Departements der Pferdewissenschaften, jährlich über 100 Pferde von Züchtern aus dem ganzen Land dazu, welche von den Schülern eingeritten und trainiert werden. Im zweiten Semester des ersten Jahres sollen die Studierenden ein eigenes Pferd, welches bereits gut ausgebildet ist, mitbringen, für das dritte Jahr sogar ein Sport- sowie ein Zuchtpferd. Die Anforderungen an die Pferde sind hoch: «Alle Pferde müssen von guter Qualität sein», erklärt Ragnarsson. Damit ist nebst guten Gangarten vor allem ein guter Charakter gefragt. Doch woher kriegen die Studenten solch gute Pferde? «Die meisten der isländischen Schüler können ein gutes Pferd von zu Hause mitnehmen oder eins ausleihen. Das ist eine Win-Win-Situation, da der Züchter das Pferd nach erfolgreich durchlaufenem Training teurer verkaufen kann», meint Ragnarsson. Für die ausländischen Studierenden könne es etwas schwieriger sein: «Da kann es schon vorkommen, dass sich jemand ein teures Pferd kaufen muss. Aber selbst dann kann man es nach der Ausbildung wieder verkaufen. Zudem arbeiteten die meisten bereits zuvor in Island auf einem Hof und haben dadurch auch die Möglichkeit, ein Pferd zur Verfügung gestellt zu bekommen.» Das Verhältnis von isländischen zu ausländischen Studierenden stehe etwa bei 60:40. Mette Mannseth, Oberreitlehrerin, sieht die Unterschiede zwischen den Schülern immer mehr verschwinden. Früher habe man einerseits den isländischen Bauernjungen gehabt, welcher vor allem viel Erfahrung mit verschiedenen Pferden vorweisen konnte, andererseits das deutsche Mädchen, deren Sitz und Dressurkenntnisse erstklassig waren. «Es ist uns aber wichtig, dass beide bei uns Platz haben», betont Mannseth. Dadurch, dass viele der ausländischen Studierenden erst eine Zeit lang in Island leben und arbeiten und die klassische Reitlehre immer mehr in Island akzeptiert würde, schleifen sich diese Differenzen immer mehr ab.

Reitlehrer Þórarinn Eymundsson testet ein Schulpferd.

Erste Arbeit mit den Jährlingen.

Loben soll auch zur Arbeit gehören. 

«Knapamerki»

In den letzten fünfzehn Jahren wurde in Hólar das System «Knapamerki», was übersetzt so viel wie «Reiterabzeichen» bedeutet, entwickelt. Dabei handelt es sich um ein Reitausbildungssystem, welches fünf Level umfasst. Es wird mittlerweile an öffentlichen Schulen, wo Reiten ein Unterrichtsfach ist, in Reitklubs und von unabhängigen Reitlehrern unterrichtet. Dabei eignen sich die Schüler ein breites Grundwissen rund um das Islandpferd und die entsprechende Reitweise an. Für jede der fünf Stufen können die Lernenden einen Test mit Diplom absolvieren. Die höchste Stufe sei etwa mit dem Niveau der Aufnahmeprüfung von Hólar gleichzusetzen, meint Sveinn. Den Studenten in Hólar wiederum wird beigebracht, nach diesem System zu unterrichten. 

Hohe Anforderungen

Die Anforderungen an die Schüler im Skagafjörður sind hoch. Um überhaupt für den Studiengang zugelassen zu werden, müssen Interessierte eine Aufnahmeprüfung bestehen, bei der ihr reiterliches Können wie auch die Sprachkenntnisse getestet werden. Pro Jahr bewerben sich 40-50, doch nur die besten 15 bis 25 werden aufgenommen. Die Abschlussprüfung ist ebenfalls anspruchsvoll: Dressur- und Rennpassreiten gehören ebenso wie Langzügelarbeit und Longieren zum Repertoire. Wer die Ausbildung in Hólar durchlaufen hat, steht dafür danach vor offenen Türen in der Islandpferdewelt. Ragnarsson berichtet, dass die Abgänger als Trainer, Bereiter und Reitlehrer arbeiten. Viele sind zudem in der Turnierszene höchst erfolg­reich bis auf Landsmót- und Weltmeisterschaftsniveau. Damit die Schüler ein solch hohes Niveau erreichen, ist der Reitunterricht natürlich äusserst anspruchsvoll. Unterrichtet wird in kleineren Gruppen, der Rest der Klasse schaut zu, um zu lernen.

An einem Morgen unterrichtet Mannseth die Drittjahresstudenten. Sie sollen neue Pferde ausprobieren. Bei einigen klappt es gut, nach etwas Bodenarbeit und lösenden Lektionen im Schritt können sie sich an Trab und Tölt wagen. Eine Schülerin findet sich nach fünf Minuten auf dem Hallenboden wieder: Ihr Pferd hat gebuckelt. Mannseth ist nichts entgangen, sie wartet, bis die Studentin wieder steht und fragt ruhig, was wohl gerade passiert sei. Der Schülerin scheint es nichts ausgemacht zu haben, sie lächelt und beginnt nochmals mit der Arbeit vom Boden aus. Gudrun Stéfansdottir, 49, Lektorin für Trainingsphysiologie und Futtermittelwissenschaften, erzählt von ihrer Zeit als Schülerin in Hólar in 1987/8: «Dazumal war Hólar noch nicht auf Pferde spezialisiert, wir hatten noch keine Reithallen und ritten selbst bei Schneesturm draussen. Da konnte es schon mal vorkommen, dass jemand plötzlich im Schneegestöber verschwand.» Bald hielten auch Reithallen Einzug in Island. Heute gibt es in Hólar drei grosse Reithallen, die für Unterricht und Training gebraucht werden. Ergänzt wird die Anlage durch Ovalbahnen, eine Passstrecke, einen Beschlag­raum, mehrere Stallungen sowie ein einzigartiges Ausreitgelände. Die Schule durchlief aber mehrere Änderungen, um die Qualität des Unterrichts stetig zu verbessern.

Blick auf das riesige Gelände der Universität und die Ovalbahn.

Die Reitanlage der Universität.

Vielfältiger Unterricht

Im grössten Stall, Brúnastaðir, finden über 189 Pferde Platz. Zu Beginn des Herbstsemesters sind hier die Jährlinge für einige Wochen untergebracht, während sie halfterführig gemacht werden. Unter Aufsicht des Lehrers Pétur Örn Sveinsson üben die Studierenden im zweiten Jahr in Gruppen von vier oder fünf, das Vertrauen der Jungspunde zu gewinnen. Er erklärt seine Philosophie folgendermassen: «Die Pferde wissen bereits alles, was sie brauchen. Wir müssen einfach ihre Sprache lernen und ihr Vertrauen gewinnen, um erfolgreich mit ihnen Arbeiten zu können.» Die Lektion beginnt damit, dass jeder Student in eine Box zu einem Jungpferd geht und erstmal probiert, diesem ein Halfter anzuziehen. Wenn das klappt, werden Weichen und Führversuche erst in der Sicherheit der Box geübt. Dies ist gar nicht so einfach, da die Pferde noch unsicher und schnell abgelenkt sind. Manche Studenten schaffen es aber bereits, ein paar Schritte im Stallgang zu führen. Es wird mit Ruhe gearbeitet, man eilt sich gegenseitig zur Hilfe, falls es doch nicht klappen will. Zudem ist Þórir Ísolfsson anwesend, welcher jahrzehntelange Erfahrung mit Jungpferden hat. Dessen Bruder, Eyjolfur Ísolfsson, war lange Lehrer in Hólar und hat die Schule stark geprägt. Bis heute habe er einen grossen Einfluss.
Frida Hanssen, eine 21-jährige Studentin im zweiten Jahr, erzählt, wie sie Hólar erlebt: «Wir haben hier die besten Lehrer, die es in diesem Bereich gibt. Ein einziges Lieblingsfach könnte ich nicht nennen, ich liebe einfach jeglichen praktischen Unterricht. Zudem ist die Gemeinschaft hier super, man hilft sich gegenseitig aus.» Nebst dem für Hólar bezeichnenden praktischen Unterricht wird natürlich wie an jeder Uni auch Wert auf wissenschaftliches Arbeiten gelegt. So schreiben die Studierenden fortlaufend akademische Arbeiten und in ihrem letzten Jahr eine Bachelorarbeit. Zudem hat Hólar mit Ragnarsson und Stéfansdottir zwei Koryphäen auf dem Gebiet des Islandpferdes. Beide haben in Schweden doktoriert und zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen rund um das Islandpferd gemacht. So etwa über die körperlichen Anstrengungen der Pferde während einer Zuchtprüfung oder die Auswirkung einer Heulage basierten Fütterung.

«Bitte Reitschuhe in das Regal stellen», Eingang zur Universität.

Oberreitlehrerin Mette Mannseth gibt Anweisungen.

Schweizerin in Hólar

Auch ein paar wenige Schweizerinnen haben die Ausbildung in Hólar erfolg­reich durchlaufen. Darunter Stefanie Wermelinger, welche 2014 ihren Abschluss in Hólar erworben hat. Die 32-Jährige wuchs in Neuenhof auf und träumte schon lange davon, nach Hólar zu gehen. Zehn Monate vor der Aufnahmeprüfung im Juni 2011 zog Wermelinger nach Island, um auf Höfen zu arbeiten und gleichzeitig die Sprache zu lernen. Ihre Zeit in Hólar hat sie sehr positiv in Erinnerung: «Ich habe fast alles toll gefunden und habe so viel gelernt. Der Unterricht, gerade bei Mette, ist sehr anspruchsvoll. Aber dadurch lernt man viel.» Allerdings betont sie die Wichtigkeit, für andere Ausbildungswege offen zu sein. Mittlerweile lebt Wermelinger mit ihrem isländischen Mann und Kindern in Sauðárkrókur. Ihren Mann hat sie in Sauðárkrókur kennengelernt, mittlerweile unterrichtet er als Hufschmied die Kunst des Beschlagens. Zusammen besitzen sie einige Pferde und Wermelinger arbeitet als Trainerin auf «Hof á Höfðaströnd», dessen Besitzerin kürzlich zur Züchterin des Jahres nominiert worden ist. «Island ist generell offener, man hat mehr Platz. Dadurch sind die Pferde hier so anders, freier, und denken mehr vorwärts. Sie können auch vorwärts gehen, hier gibt es nicht so viele Strassen», schwärmt sie vom Reiten in Island. Als sie vor sechs Jahren in Island ankam, musste sie sich aber erst an die isländischen Verhältnisse gewöhnen: «Zu Beginn war ich sehr schweizerisch, sehr organisiert. Hier ist man lockerer, man muss sich mehr der Natur anpassen. Manchmal denke ich, dass diese Lockerheit den Schweizern vielleicht auch guttun würde und umgekehrt den Isländern etwas mehr Organisation.» In ihrer Bachelorarbeit untersuchte Wermelinger die ideale Sattellänge bei Islandpferden. Dabei kam sie zum Ergebnis, dass selbst der kürzeste Sattel auf dem grössten Pferd zu lange sei. Die Sättel hätten sich in den letzten Jahren zwar verändert, seien aber noch nicht wirklich zufriedenstellend.
Klare Ziele für die Zukunft hat Wermelinger: «Ich will mich reiterlich laufend weiterbilden, so viel wie möglich lernen und Erfahrungen sammeln. Zudem habe ich einen vielversprechenden fünfjährigen Wallach, der hoffentlich ein tolles Turnierpferd wird.» Am diesjährigen Landsmót, welches in Hólar stattgefunden hat, traf Wermelinger viele ehemalige Mitstudenten und Dozenten wieder. Das nächste Landsmót wird 2018 in Reykjavik stattfinden. An diesem das Islandpferd zelebrierenden Fest wird man wieder viele von Hólars Schülern und Lehrern als Zucht- und Sportreiter, Richter, aber auch Zuschauer erwarten dürfen.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 01/2017)

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