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Marianne Fankhauser-Gossweiler mit ihrem Gatten, dem Olympiaruderer Urs Fankhauser. Im Hintergrund ein Teil der gemeinsamen Pokalsammlung.
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Stephan, Urs und Thomas präg(t)en ihr Leben

03.05.2016 12:51
von  Peter Wyrsch //

Drei Männervornamen haben im Leben von Marianne Fankhauser-Gossweiler zentrale Bedeutung und gaben (geben) ihrem Leben Inhalt und Konturen: Stephan, Urs und Thomas. Stephan war ihr Pferd. Der Schimmel trug die Schaffhauser Dressurreiterin in den 60er-Jahren zu sportlichen Höhen­flügen. Urs ist ihr Gatte. Mit dem Hergiswiler Olympia­ruderer und über 20-fachen Schweizermeister auf dem Wasser ist die aufgeschlossene Ostschweizerin seit 1971 verheiratet. Thomas ist ihr einziger Sohn. Noch immer beschäftigt sich die erste Schweizer Frau, die an Olympischen Sommerspielen teilnahm und gleich eine Medaille gewann, mit der Reiterei – und hat dazu ihre eigene, kritische Ansicht.

Stephan 1957 als Siebenjähriger auf der Weide.

1958: Am Anfang von Stephans Ausbildung mit der damals 14-jährigen Marianne.

Das Alter geben verschiedene Frauen nicht preis. Für einige – wie die blonde Jetset-Lady Vera Dillier beispielsweise – ist es ein streng gehütetes Geheimnis. Nicht so bei Marianne Fankhauser-Gossweiler. Am 15. Mai wird die rüs­tige Frau mit Schaffhauser Dialekt 73-jährig. Sie ist damit zweieinhalb Monate älter als ihr Gatte Urs, dem jahrelangen Spitzenruderer und einstigen Vorsteher des Amtes für Militär beim Kanton Nidwalden. Der 40-jährige Sohn Thomas ist derzeit als Fachoffizier der Swisscoy im Kosovo im Einsatz. Er ist sehr sportlich, hat sich aber weder dem Reiten noch dem Rudern verschrieben, sondern hält sich mit asiatischen Sportarten, Yoga und Marathonläufen fit. Marianne Fankhauser-Gossweiler erzählt: «Er sass als kleiner Junge einmal auf einem Pferd und hat dabei furchtbar geweint. Da war das Interesse dahin. Und für den Rudersport ging es ihm zu wenig rasant bis zum olympischem Format.»

1960 in Donaueschingen beim Gehorsamssprung, der damals in Deutschland nach jeder Dressurvorführung obligatorisch war.

Zwei Olympiastarts, zwei Medaillen

Zweimal nahm die seit Jahren in Hergiswil wohnhafte Marianne Fankhauser-Gossweiler als Mitglied der Schweizer Dressur-Equipe an Olympischen Spielen teil: 1964 in Tokio und 1968 in Mexiko City. Und zweimal wurde die damals junge Pferde-Dame mit ihrem Schimmel Stephan zwischen den zwei gestandenen Berufsunteroffizieren und Armeereitern, den hoch dekorierten und erfahrenen Henri Chammartin und Gustav Fischer, mit Olympia-Edelmetall belohnt. 1964 wurde die damals 21-jährige, grazile Marianne mit Silber dekoriert, 1968 mit Team-Bronze. Dazwischen gewann die Tochter eines Schaffhauser Pferdehändlers mit der Schweizer Equipe 1965 EM-Silber in Kopenhagen und 1967 EM-Bronze in Aachen sowie 1966 WM-Silber in Bern. Im Einzelklassement erreichte die Ostschweizerin an den Olympischen Spielen einen siebten Rang 1964 und einen zehnten Platz 1968 und trug so wesentlich zum Medaillengewinn der aus drei Reitern gebildeten Equipe bei. Ein Streichergebnis gab es damals nicht. Die Schweiz hatte noch vor der nachmaligen Olympiasiegerin Christine Stückelberger eine charmante Dressur-Ikone: Marianne Gossweiler.

Vom Wagen- zum Olympiapferd

Die begeisterungsfähige Rhetorikerin Marianne erzählt: «Dass wir mit Ste­phan, der einst nur ‘Schimmel’ hiess, einmal so weit kommen würden, war eigentlich unvorstellbar. Das ABC der Ausbildung eines Reitpferdes hatte er nie gelernt, bevor er in unseren Besitz kam. Arbeit unter dem Sattel war ihm fremd. Er war einst mehr als fett. Er trug in Wittbek, einem kleinen Ort bei Husum an der Nordsee bei Johannes Hansen, den alle nur ‘Wittbek-Hannes’ nannten, die Milch aus und war, vor unserem Kauf für 1250 Deutsche Mark 1957 als Siebenjähriger, nur vereinzelt im Gelände geritten worden.»

Stephan auf dem Höhepunkt seiner Karriere 1966 an der Weltmeisterschaft vor heimischem Publikum in Bern.

Schimmel wurde aber ihr erstes sogenanntes «Behaltepferd», das sich die reitbegeisterte Pferdehändler­tochter so sehnlichst gewünscht hatte. Spontan nannte sie ihn «Stephan». Wie Marianne auf diesen Namen gekommen ist, weiss sie nicht mehr. Vielleicht hatte sie einen Teenager-Schwarm dieses Namens... «Dann hätte ich ihn aber Alwin nennen müssen», wirft die gepflegte Pensionärin mit einem Flair für antike Möbel und Bilder ein. «Ich schwärmte für den deutschen Spring­reiter Alwin Schocke­möhle und wollte eigentlich Springreiterin werden.»
Weder Mariannes Vater Heinrich noch Gustav Fischer, ihr einstiger Ausbildner und späterer Equipenkollege, erahnten, dass Ste­phan einst zu Medaillen­ehren kommen würde. Unbedingtes Vertrauen, unerschütterlicher Glaube und viel Arbeit und Ehrgeiz zeitigten aber Erfolg. Pferde waren für die Goss­weilers, für Papa Heiri, Mama Ruth, die jüngere Schwester Catherine und besonders für Marianne Passion und Leidenschaft, brachten Ver­gnügen und für die Familie Lebensunterhalt zugleich. Bis Marianne 28-jährig war, weilte sie nie in den Ferien. Wer hätte denn die Pferde geritten? Leichten Herzens verzichtete sie auf Entspannung und Erholung in fremden Gefilden, obwohl sie bis zwölfjährig nur an der Longe Sitzübungen machen durfte. «Meine Eltern hatten ein geschultes Auge. Ich trainierte nie ohne Aufsicht. Mein Vater hatte seine Überzeugung: Wer nicht richtig sitzt, lernt nie reiten.» Und er war, so wird überliefert, ein versierter und kompetenter Pferdekenner, der sich der klassischen Reitkunst verschrieben hatte.

Früher Rücktritt

Der erste Start mit Mariannes Pferd zum «Behalten» war im Frühjahr 1959 auf der Zürcher Hardwiese. Der mit sechs Jahren kas­trierte Holsteiner-Schimmel war neun Jahre alt, sie deren zarte 16. Nur mit einer Ausnahmebewilligung durfte sie starten. Damals musste man 17 Lenze zählen, um die Lizenz zu erlangen. Das neue Paar, Marianne und Stephan, kein Schlagerduo, sondern ein vertrautes Dressur-Doppel, siegten mit grossem Vorsprung. Der Countdown zu Höhenflügen bis Olympia begann.

Team-Silber – nur Marianne erhielt eine echte Medaille, für die Herren gab es später ein Duplikat – an den Olympischen Spielen 1964 in Tokio (v. l.): Gustav Fischer, Marianne Fankhauser-Gossweiler und Henri Chammartin.

Der kometenhafte Aufstieg in die Dressur-(Männer)gilde dauerte kein Jahrzehnt. Noch vor der Heirat 1971 mit Urs Fankhauser trat die Ostschweizerin von der Dressurbühne ab. Schluss, vorbei. Der bildhübsche Lipizzaner Stephan hatte 1968 mit seiner zweiten Olympia-Medaille seinen Zenit erreicht und war in die Jahre gekommen. Er war 18-jährig. Die Reiterin wollte ihren erklärten Liebling aber nicht wie eine Zitrone auspressen. Stephan, der keine Abstammungspapiere hatte und deshalb ein sogenannter «Sans-Papiers» war, ging fit und gesund in Pension. Bei der Familie des deutschen Dressur-Königs Reiner Klimke, mit der Gossweilers eine lang­jährige Freundschaft verbindet, verbrachte «Stephan» in Münster die ers­ten vier Jahre seines Ruhestandes. Er war Lehrpferd für Hans Jürgen Meyer, einen Schüler von Reiner Klimke. Bei seiner Rückkehr war «Stephan» 22-jährig, aber immer noch munter und gesund. Da aber der Stall Gossweiler in Schaffhausen nicht mehr bestand, verbrachte das Ausnahmepferd, das Marianne trotz seines starken Charakters nie abwarf, seinen Lebensabend bei einer Freundin in der Nähe von Bern. Mit 29 verschied der aussergewöhnliche Schimmel.


Der neue Lebensabschnitt

Ob sie denn kein Nachfolge-Pferd reiten konnte? «Damals gab es weder Sponsoren noch Sporthilfe. Mein Papa hatte 1967 zwar ein talentiertes Pferd namens Franco gekauft. Es wurde aber nach Deutschland verkauft. Händler leben halt vom Handel», ergänzt Marianne ohne Bedauern wegen des frühen Rückzugs aus dem Spitzensport. Zudem wurde auf dem Rückflug von den Olympischen Spielen in Mexiko City für die emsige Reiterin die Lebensweiche gestellt. Ein Riemenruderer war am «Stellwerk»: der gross gewachsene und kräftige Athlet Urs Fankhauser. Gemeinsam besuchte die Schweizer Olympiadelegation bei ­einem Zwischenhalt in Washington die Grabstätte von John F. Kennedy auf dem Heldenfriedhof in Arlington und unternahm eine Schifffahrt. Auf dem Wasser lud der Ruder-Gentleman die Dressur-Lady zu einem Kaffee ein, nachdem er artig deren Kameratasche getragen hatte. «Er konnte aber nicht bezahlen, weil der Kellner für zwei Kafis keinen hohen Dollar-Travellerscheck akzeptierte. So musste ich die Zeche bezahlen.» Es folgte aber die Revanche und der Funke der Zuneigung sprang über. 1971 wurde geheiratet und der neue Lebensabschnitt, das Familienleben, begann. «Alles fügt sich oft im Leben. Ich habe meinen frühen Rücktritt nie bereut.»

Marianne und Urs geniessen ihre gemeinsame Zeit zusammen in der modernen Eigentums­wohnung mit Blick auf den Vierwaldstättersee.

Kritische Beobachterin

Dem Pferdesport und der Dressur inbesonders hat Marianne Fankhauser aber nicht ganz den Rücken gekehrt. Am Montagabend erteilt sie in Zofingen jeweils Reitstunden, den «sogenannten Fischer-Kurs», den sie von ihrem einstigen Lehrmeister Gus­tav Fischer nach dessen Tod 1991 übernommen hatte. Die heutige Reiterei beurteilt sie kritisch und mit Besorgnis. «Der Reit­sport steuert in eine falsche Richtung. Die Reitweise hat sich verändert. Es geht zu einem grossen Teil um Abrichten und Dressieren. Die Ausbildung wurde zu einem reinen Handwerk. Die Reitkultur geht allmählich verloren. Das Ganze, die Einheit, der Zusammenhang fehlen. Vieles ist nur spektakuläres Stückwerk. Zuviel ist Show und Effekthascherei. Die Grundausbildung leidet unter dem Zeitdruck. Wissen und Kenntnisse ‘alter’ Lehrmeister gehen so verloren. Ich mache und machte in der Reiterei nie Kompromisse. Für mich war ein Pferd nie ein Gegenstand und ich hoffe, dass nach den unrühmlichen Ereignissen an den letzten Dressur-Europameisterschaften in Aachen bei allen Pferdesportverantwortlichen ein Umdenken mit der Einleitung von längst fälligen Massnahmen stattfindet.»
Starke Worte einer einst starken Reiterin, welche die Reiterei geduldsam und von Fachleuten geschult von der Pike auf erlernte. Sie fügt aber an, dass heutzutage nicht alles schlecht und verkehrt sei. «Es gibt immer noch viele Reiter, die es richtig machen. Aber es gibt leider auch viele andere Reiter und Richter – an der Basis und auch im Spitzensport.»

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 17/2016)

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