Suche
Niklaus Schurtenberger und Cantus.
Previous Next
Aktuelle Themen

Verbundenheit mit Cantus

13.11.2018 10:49
von  Peter Wyrsch //

Er gilt in der hiesigen Concoursszene als ruhiger und besonnener Reitersmann und ist als Schlaks mit schütterem Haarwuchs kaum zu übersehen. Der Name des in Oberbottigen aufgewachsenen Berner Bauernbubs ist unweigerlich mit einem zuverlässigen Schimmel verbunden: Niklaus Schurtenberger und Cantus. Der gross gewachsene «Nick» und der mächtige Cantus passten zueinander und harmonierten ideal. «Schurti», wie ihn seine Freunde nennen, und der aus baden-württembergerischer Zucht stammende Überflieger des Luzerner Besitzerehepaars Priska und Paul Erni-Suhner waren ein Jahrzehnt lang ein verlässliches Nationenpreispaar der Schweizer Springreiterequipe.

Von der Autobahn-ausfahrt Lyss Nord biege ich mit meinem Vehikel auf rechte Hand in den Längfeldweg Richtung Fenchneren in Worben ein – ein Besuch im Sport-, Ausbildungs-, Verkaufs- und Pensionsstall Niklaus Schurtenberger ist vereinbart. Auf der ersten Weide rechter Hand erblicke ich einen grasenden Schimmel. Ist das nicht Cantus, «Schurtis» langjähriges Nationenpreispferd? Ich bremse, halte an, steige aus. Der Schimmel blickt mich verdutzt an, kommt sachte näher und beschnuppert mich. Ist es Cantus? Ja, er ist es, obwohl er etwas molliger geworden ist, seine einstige, kräftige Muskulatur verloren und lange Haare hat.

Niklaus Schurtenberger mit Cantus, dem Pferd seines Lebens.

Niklaus Schurtenberger mit Ehefrau Karin vor dem Springplatz in der Fenchneren.

Er geniesst sein Rentnerdasein bei bester Gesundheit, wie mir später sein Reiter Niklaus Schurtenberger versichert. Am CSIO St. Gallen 2012 hat er ihn nach einem Sieg an einem Dreisternspringen am CSI Bremen aus dem Sport verabschiedet. Seit sechs Jahren ist Cantus Pensionär und weidet allein auf einer geräumigen Wiese. So ganz alleine und verlassen? «Keineswegs. Wir kümmern uns sehr um ihn. Er ist bei schönem Wetter täglich fünf, sechs Stunden draussen, bei Kälte und im Winter dreht er geruhsame Runden im Karussell oder ganz alleine in der Reithalle. Cantus soll sich ja nicht verletzen. Er ist uns auch als Rentner viel wert. Er wird seinen Lebensabend bei uns verbringen. Es soll ihm an nichts fehlen. Auch seine geliebte Portion Rüebli erhält er täglich. Diesen bevorzugten Umgang sind wir ihm schuldig. Dies haben wir auch seinen Besitzern, dem Ehepaar Erni, versichert.»

Liebe im Alter

Doch so ganz alleine ist Cantus nicht. Auf der Nachbarweide und in idealem Sichtkontakt weidet eine schöne Rappstute, die Cantus besonders mag. Es ist Perelada, die Stute von Niklaus’ Gattin Karin, der Cantus’ Augenmerk besonders gilt. «Die Stute belegt die Box neben Cantus», verrät «Schurti» lächelnd und weiss, wovon er spricht.


22 fehlerlose Nationenpreisumgänge

Cantus war seit dessen siebtem Lebensjahr in seinem Beritt. «Er wurde damals als Handelspferd für eine sehr tiefe sechsstellige Summe gekauft», verrät sein langjähriger Reiter. «Cantus war mein Türöffner für den grossen Concourssport – mein Pferd des Lebens, ein Ausnahmepferd. Mit ihm hatte ich all meine grossen Erfolge. Er war äusserst zuverlässig, vermögend und gab mir Sicherheit. Wohl war er etwas träge und verursachte etliche Zeitfehler. Aber Stangen hat er wenige runtergerissen», grinst «Schurti» vielsagend.

An den Olympischen Spielen 2008 in Hongkong gewann Niklaus Schurtenberger auf Cantus mit dem Schweizer Team Bronze – allerdings erst nachträglich aufgrund der Disqualifikation von Norwegen.


22 Nationenpreisumgänge drehte er zwischen 2004 und 2012 fehlerlos. Er war zweimal Schweizer Spring­pferd des Jahres, war an ­einigen Schweizer Nationenpreissiegen und zahlreichen Podestplätzen wertvolles und zählendes Equipenmitglied. Und der nervenstarke Reiter gewann als eigentliche Krönung mit Cantus an den Olympischen Spielen 2008 Teambronze – zusammen mit Steve Guerdat, Chris­tina Liebherr und Pius Schwizer. «Insgesamt ritten wir an fünf Championaten. Er hat mich nie im Stich gelassen», ergänzt der bodenständige Stadtberner, der nunmehr seit zwölf Jahren im seeländischen Worben ansässig und seit geraumer Zeit sein eigener Herr und Meister ist.

Die Patchworkfamilie

In der Fenchneren in Worben hat «Schurti» sein Reiterparadies gefunden. Ein Rasenplatz (90 mal 70 Meter), wo jeweils regionale oder nationale Concours durchgeführt werden, ein Sandplatz (40 mal 70 Meter), eine Reithalle (20 mal 40 Meter), ein Reitkarussell, Stallungen für 40 Boxen, fünf Hektaren Wald, drei Weiher, genügend Auslauf und Weideland am Rande eines Naturschutzgebiets. Zur Pferderanch gehört auch das Restaurant «zur Ranch», das seit dem 1. Juli dieses Jahres auch Schurtenbergers gehört und jeweils leckere und preiswerte Mittagsmenüs und Fleischgerichte auf der Speisekarte feilbietet. Zur Familie Schurtenberger zählen Betriebsleiter Niklaus, der einst die Bereiterlehre an der Empfa in Bern und danach die Trainrekrutenschule absolvierte, und seine Gattin Karin, die er vor fünf Jahren heiratete und die sich vor allem um die Adminis­tration kümmert.

Das Besitzerehepaar Schurtenberger mit Pudel Suina.

Der besondere Briefkasten der Schurtenbergers.

Freizeitreiterin Karin ist Mami von Sohn Jan und Tochter Sara aus einer früheren Beziehung. Sie leben auch im Reitparadies in Worben. «Schurtis» Sohn Neil hingegen nicht. «Er ist inzwischen 15-jährig, Gym­nasiast und interessiert sich eher für Fussball als fürs Reiten. Er kickt bei Engelberg als Stürmer», sagt der geschätzte Pferdeausbildner. Einige Worte des Hausherrn noch zu den idyllischen Weihern, die fast unmittelbar an Stallungen und Rasenplatz grenzen: «Durch den Wald und entlang den Weihern finden sich ideale Wege zum Ausreiten, die von unseren Pensionären sehr geschätzt werden. Nur einige Übeltäter machen uns jeweils zu schaffen. Wir haben eine Biberplage. Zahlreiche Biberfamilien ziehen bei uns ihre Kreise und knabbern Stämme an.»

«Schurtis» neuer Anlauf

Seit Cantus seine Pension geniesst, ist es sportlich etwas ruhiger um «Schurti» geworden. Zwar wurde er 2014 Schweizer Cupsieger mit Davidoff vom Schlösslihof, 2017 mit Quasimo­do, den ihm sein inzwi­schen verstorbener, ehemaliger Stallkollege Willi Melliger zur Verfügung gestellt hat, Zweiter der Schweizer Elitemeis­terschaft in Humlikon und siegte in der SM-Qualifikation in Zug.

«Schurti» vor seinem Flot- und Schleifenkasten.

In diesem Jahr ragt vor allem der dritte GP-Rang am Dreisternturnier in Gorla Minore im April auf dem Westfalen Quasimodo sowie der Erfolg in der SM-Qualifikation in Pruntrut mit Chocotoff, der den Besitzern Cris­tina und Hanspeter Trauffer gehört, he­raus. Und seit wenigen Wochen hausen auch drei Pferde von Rita und René Décorvet aus Bolligen in «Schurtis» Stallungen. Es sind dies Tinka’s Man, ein Sohn von Markus Fuchs’ ehemaligem Spitzenhengst Tin­ka’s Boy, Unato und Tirana Landais, mit dem Ariane Muff an den diesjährigen Schweizer Meis­terschaften den überraschenden sechs­ten Platz belegt hat.

Beat Mändlis enger Kollege

Ein besonders gutes Verhältnis pflegt der seit 29 Jahren selbstständig erwerbende Niklaus Schurtenberger zu Beat Mändli, der jeweils als Trainer von Katie Dinan zwischen den USA und der Schweiz hin-und herpendelt. «Wir sind seit Jahren gute Kollegen. Wenn er im Sommer in der Schweiz stationiert ist, mietet er sich bei mir ein.» «Schurti» und Mändli haben mit dem siebenjährigen Lireu und der fünf­jährigen Schweizer Inlandstute Concordia zwei gemeinsame Pferde. Sie arbeiten aber auf eigene Rechnung. So entrichtet Mändli seinem Reitkumpan auch den Obolus für den neunjährigen Hannoveranerfuchs Pole Position II, der Schurtenberger derzeit auf Trab hält.

Niklaus Schurtenberger gewann mit Quasimodo VII 2018 unter anderem den Grossen Preis von Zug.

Niklaus Schurtenberger gewann mit Quasimodo VII 2018 unter anderem den Grossen Preis von Zug.

Niklaus Schurtenberger gilt als seriöser Reiter und Ausbildner und als «gmögiger» Genussmensch, der ein gutes Stück Fleisch, Mineralwasser und Rotwein schätzt. Als Hobbys gibt der bodenständige Sohn eines Landwirts die Familie und Skifahren an – in dieser Reihenfolge. Was hat sich denn seit seinen Karrierhöhepunkten im grossen Turniersport verändert? Schurtenberger überlegt nicht lange: «Vieles, ja fast alles. Die Anforderungen sind gestiegen, die Qualität bei Reitern und Pferden besser. Das Reitkarussell dreht sich aber immer schneller. Turniere spriessen aus dem Boden und konkurrenzieren sich gegenseitig. Es ist viel mehr Geld im Spiel – wahrscheinlich nicht zum Wohl der Pferde.»

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 45/2018)

[...zurück]