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Hanspeter Rüschlin.
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Vom Bocksitz auf den Richterstuhl

14.06.2016 15:20
von  Peter Wyrsch //

Er trat die Nachfolge des ersten Viererzugweltmeisters Auguste Dubey an und war quasi der Vorfahrer des WM-Gold-Gewinners Werner Ulrich, der an den Weltreiterspielen 1998 in Rom aufs oberste Podest fuhr. Der 72-jährige Hanspeter Rüschlin wurde zwischen 1983 und 1994 siebenmal Schweizermeister der Vier­spänner, gewann 1992 im Einzel und im Team mit Heiner Merk und Christian Iseli in Riesenbeck WM-Silber und hat 1995 seine Aktiv-Laufbahn als Fahrer beendet. Er hat seinen Sitz getauscht. Vom Bock auf den Richterstuhl mit Zwischenstationen als Vereins- und Verbandstrainer.

«Fahrer mit ihren Wagen und Pferden haben das Glück auf Erden, doch wenn sie sterben, gibt es nichts zu erben.» Dieser bis auf wenige Ausnahmen geltende Wahlspruch steht in der Geschirrkammer in Rüschlins Heimetli im Weiler Entetswil in Schweizersholz. Die Rüschlins, der ehemalige Kutscher Hanspeter und seine Frau Vreni, einst ebenfalls begeisterte Einer­zugfahrerin, wohnen seit 1972 auf St. Galler Boden, gehören aber politisch Schweizersholz im Thurgau an. Die Gemeinde ist seit 1996 in den Bezirk Bischofszell im Thurgau einverleibt worden.

Der 72-jährige Hanspeter Rüschlin.

Mit seinen beiden WM-Silbermedaillen im heimischen Wohnzimmer.

Hanspeter mit seiner Gattin Vreni im Vorgarten seines Heimetli.

«Unmittelbar neben unserem Haus mit Scheune, Stall, Pferdeboxen, Karussell und Weiden verläuft die Kantonsgrenze», berichtet «Hampi» und legt die Mistgabel beiseite. Täglich versorgt er auch mit 72 Lenzen seine drei eigenen braunen Pferde. «Nunmehr habe ich noch deren drei. Ich habe immer braune Pferde eingespannt.» Jetzt hegt und pflegt er noch täglich die Inländer Heidegeist und Jever sowie den Hannoveraner Espen. «Er ist mit vier Jahren der Jüngste in meinem Stall. Heidegeist ist der Onkel von Jever, der seit Herbst bei uns untergebracht ist.» Sein Vater ist der Zuchthengst Riccione, ein Dressurvererber, dessen Vater Regazzoni hiess – nicht zu verwechseln mit dem ehemaligen Tessiner Formel-1- und Ferrari-Fahrer Clay Regaz­zoni.

Pferde sind seine Musse

Die Musse ist die Zeit, die ein Mensch nach eigenem Wunsch und Ermessen nutzen kann. Hanspeter Rüschlin ist seit sieben Jahren Pensionär. Der gelernte Maschinenmechaniker, der sich eigentlich lieber als Hufschmied oder Landwirt hätte ausbilden lassen, war nach dem frühen Tod seines Vaters auserkoren, den elterlichen Landmaschinenbetrieb in Binningen zu übernehmen. Es kam für den damals kaum Volljährigen nicht dazu, obwohl sein Herz und seine Leidenschaft seit seinem zehnten Altersjahr der Landwirtschaft und anderen «Motoren» galt, den lebendigen Pferdestärken.

Rüschlin mit seinem Inländer Heidegeist.

Heute könnte er sich zurücklehnen und auf seinen sportlichen Lorbeeren ausruhen. Diese haben ihm zwar viele Ehrenmeldungen, Pokale, Medaillen, Schleifen, Flots und weitere Erinnerungsstücke eingetragen, nicht aber finanziellen Reichtum. «Ich hatte stets sechs, sieben eigene Pferde, für die ich verantwortlich war. Mein Hobby, der Fahrsport, verschlang schon zu meiner Zeit eine stattliche Summe, rund 100000 Franken pro Jahr. Ohne meine Familie, besonders meine Frau Vreni, meinen Sohn Hansjörg und Tochter Renate sowie Beifahrer und Freunde hätte ich mir mein geliebtes Steckenpferd nie leisten können.» Rotwein-liebhaber Rüschlin arbeitete stets wie ein Berserker, in der Landwirtschaft, als Mechaniker und Dachdecker und zuletzt bis zu seiner ordentlichen Pensionierung auch in der Sattlerei. Seine Dienste und Ideen sind überdies auch heute noch gefragt.

Seine eigenen Viererzugpferde waren über Jahre im Einsatz und vorwiegend ungarischer Abstammung. «Meine Pferde zogen meine Wagen in allen Disziplinen rund zehn Jahre lang. Einige hatten über 100 Marathons in den Beinen. Heute haben Spitzenfahrer je ein halbes Dutzend erstklassiger und ausgebildeter In- und Outdoorpferde.»

Fahrsport nach Unfall

Zu Beginn seiner Rösseler-Tätigkeit sei er Concoursreiter gewesen, verriet der rüstige Rentner. Einige Plaketten vor dem Stall und der Geschirrkammer, in der er fein säuberlich Sättel, Bündner- und englische Geschirre getrennt aufgehängt hat, zeugen von einigen vorderen Klassierungen. Ein Unfall 1964, als er mit einem Roller schwer stürzte und seither grosse Knieprobleme hat, beendete die kurze Reiterkarriere. Wegen der Instabilität des rechten Knies musste er fortan auch auf Skifahren, Fussball und Schlittschuhlaufen verzichten. Dem geliebten Pferdesport blieb er aber erhalten. Er wurde zum Fahrer, zum erfolgreichen Viererzugfahrer. Auch auf dem Bock erlitt er allerdings im Training einen Unfall und zog sich den gleichen Bruch wie nach dem Sturz von seinem motorisierten Zweirad zu. Nur diesmal am anderen Knie, dem linken.

Dressur- und Hindernispezialist

14 Jahre fuhr Rüschlin vierspännig. Er war vor allem ein Spezialist im Hindernisfahren und in der Dressur. «Im Marathon war ich nie so stark, weil ich selten das ganze Risiko einging und nicht die letzten Kraftreserven von meinen Pferden forderte.» In der Dressur und im Hindernisfahren erreichte der im Aargau geborene und im Baselbiet aufgewachsene Rüschlin Weltklasse-format und konnte sich auf gleicher Höhe mit dem immer noch aktiven Holländer IJsbrand Chardon, dem Schweden Tomas ­Eriksson, den Deutschen Michael Freund und Chris­toph Sandmann und dem Ungaren Jozsef Bozsik messen. Aachen war stets sein Lieblingsturnier. Ans deutsche Riesenbeck (WM 1992) und ans niederländische Apeldoorn in der Provinz Gelderland hat er ebenfalls beste Erinnerungen. Kunststück: An der WM 1988 in Apeldoorn gewann Rüschlin mit seinem Vierspänner die Dressur und das Hindernisfahren. Im Gelände geriet er dann ins Hintertreffen. Besonders stolz ist er, dass er zwischen 1988 und 1992 im Hindernisfahren keinen einzigen «Töggel», kein Bällchen, runterwarf, der zu Strafsekunden führte. Präzision, Konzentration, Fahrstil und Technik gehörten stets zu den Vorzügen des begeisterten Fahrsportlers.

Hanspeter Rüschlin und der deutsche Seriensieger Michael Freund – Gegner im Wettkampf, Freunde an der Party danach.

Hanspeter mit seiner Frau und «Bockdame» Vreni sowie den Beifahrern, den Gebrüdern Staub.

Rüschlin gewann 1992 an der Weltmeisterschaft in Riesenbeck (GER) Einzelsilber.

Bei bisher 17 Weltmeisterschaften als Richter im Amt.

Hanspeter Rüschlin ist aber auch ein geschickter Handwerker. Als gelernter Maschinenmechaniker und Landwirt gewissermassen ein «Selfmademan». «Ich habe noch heute eigenes Futter und baute einst meinen Lastwagen selbst zu einem Pferdetransporter um.» Geld für einen teuren Pferdecamion hatte er nicht. So war er gezwungen, selbst Hand anzulegen.

Liebe auf dem Bock

Als Fahrer in Frack und Zylinder lernte er auch seine Frau Vreni kennen. Rüschlin erzählt: «Ich verdiente zwischenzeitlich auch als Hochzeitskutscher einige Franken, um mir mein Hobby leisten zu können. Als ich einst Heidis Schwester Anita zu deren Hochzeit kutschierte, schaute ich des Öftern in den Wagen.» Zeugen bestätigen diese Aussage. Hampis Blick galt vor allem Anitas Schwester Vreni, die es sich in der geschmückten «Droschke» ebenfalls bequem machte. Vreni zog den Kutscher in ihren Bann, was schliesslich zu einer innigen Beziehung und zur Heirat führte. Vreni teilt Hampis Pferde- und Fahrleidenschaft. Haus und Hof, Wohnzimmer, Büroräume und Korridor sind fast eine Art Museum, eine reiche Trophäensammlung mit einigen imposanten Kutschen- und Pferdebildern von Heinz Berchtold, dem bekannten Pferdemaler.

17 WM gerichtet

Schon während seiner Aktivzeit bildete sich Rüschlin als nationaler Richter aus. Nach seinem Rücktritt als internationaler Viererzugfahrer war er allerdings noch Trainer – Verbands­trainer beispielsweise, als Werner Ulrich 1998 in Rom zu WM-Gold fuhr. «Ich war auch Vereinstrainer, Technischer Delegierter und 1982 auch Gründer des Fahrvereins Wil und Umgebung. Zu meinem Leben gehört der Fahrsport. Ich wollte stets nach meinem Rücktritt als Aktiver in diesem Sport bleiben. Es ist die Zusammenarbeit zwischen Pferden und Menschen in einem Team, die mich fasziniert.»

Als Richter hat sich Rüschlin hochgedient bis zum internationalen Richter mit dem höchsten Status, dem O (Offiziell)-Richter. «17 Weltmeisterschaften habe ich bislang gerichtet», erzählt er stolz. In diesem Jahr erfolgt in Aachen eine Krönung. Erstmals wird er als Präsident dem Richtergremium vorstehen. «Und 2018 ist Schluss. Dann werde ich 74-jährig und muss nach den Vorschriften abtreten», ergänzt er mit etwas Wehmut.

Zylinder, Frack, Livrée und Stiefel hat er längst ausgezogen, die Richter-melone wird er bald müssen. Pferde und sein geliebter Fahrsport werden Hanspeter Rüschlin aber bis an sein Lebensende begleiten.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 23/16)

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