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Viererzugfahrer Georg von Stein.
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Vom Pferderücken auf den Kutschbock

20.02.2018 08:39
von  Birgit Popp //

Seit 2010 ist Georg von Stein alljährlich eine Stütze des deutschen Viererzugteams bei Welt- und Europameisterschaften und konnte seitdem bei allen Championaten eine Medaille gewinnen. Seit seiner ersten Teilnahme an der deutschen Meisterschaft 2007 holte er sich dreimal den nationalen Titel, ebenso oft Silber und zweimal Bronze. Das Ziel für die WEG 2018 in Tryon (USA) ist klar gesteckt: zuerst die Nominierung erzielen und dann meint er: «Ich bin guter Hoffnung, dass es wie an der EM in Göteborg Silber wird, aber ich denke, auch die Niederlande sind schlagbar.» Wir haben Georg von Stein auf seiner Anlage in Modautal-Herchenrode rund 60 Kilometer südlich von Frankfurt besucht.

Georg von Stein bei einem seiner Einsätze beim CHIO in Aachen.

Fahren heisst für Georg von Stein vor allem Teamarbeit gemeinsam mit seiner Lebens­partnerin Manuela Scholz. Kaum sind die beiden gemeinsamen Kinder Henrik und Julia in die Schule beziehungsweise den Kindergarten gebracht, stehen beide im Stall. Die Arbeit geht Hand in Hand. Während Georg von Stein noch mit einem Pferd an der Doppellonge in der am Stall angrenzenden Reithalle arbeitet, bereitet Manuela Scholz schon das Gespann für die erste Kutschfahrt des Tages vor. Sie geht durch die hügelige Landschaft mit zum Teil recht steilem Auf und Ab des Odenwalds, vorbei an den Trainingsplätzen von Von Steins Pferde­sportzentrum, durch die verschiedenen Ortschaften der Gemeinde Modautal, entlang der Weiden, wo sich Zuchtstuten, Fohlen und Jungpferde tummeln. Zum Abschluss gibt es noch eine rasante Trainingsfahrt durch das Tonnen- und das Wasserhindernis. «Die hügelige Geländeformation», so Von Stein, «ist ein optimales Konditionstraining für die Pferde.»

Nicht nur Fahren

Von Steins Herz schlägt aber nicht nur für den Fahrsport, sondern für den Pferdesport und die Pferdezucht im Allgemeinen. 1972 geboren und aufgewachsen auf dem landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern Georg-Ludwig und Karin von Stein, zu dem seit 1875 ein Landgasthof gehört, hatte der kleine Georg schon immer Kontakt zu Pferden. Anfangs vor allem durch seinen Grossvater und durch seine Mutter, die zwar selbst nie geritten ist, aber die Leidenschaft ihres Sohnes bis heute unterstützt. «Ich sass von Kindesbeinen an auf dem Pferd und dem Kutschbock. Wir hatten auch immer Fohlen gehabt. Mit zehn oder zwölf bin ich dann die ersten Turniere geritten», so Georg von Stein, der eine Trainerlizenz für das Fahren und Reiten besitzt. Die Unterstützung seiner Mutter fand auch in ganz praktischer Weise statt: Da es immer wieder Streitigkeiten mit dem Grossvater über die Pferdeausbildung und die Turnierbesuche gab, schenkte sie ihrem Sohn schon zum 16. Geburtstag einen eigenen Pferdeanhänger. «Mit dem bin ich mit dem Traktor auf die Turniere gefahren.» Damals noch zum Springen, wo er bis zur schweren Klasse bis 2005 erfolgreich ritt. «Mein Traum war es aber schon immer, auf grossen Turnieren wie Aachen oder internationalen Championaten zu starten und da bot sich der Fahrsport an.»

Georg von Stein mit seinen Vierbeinern unterwegs auf dem heimischen Platz mit festen Hindernissen.

Gelernt hat Georg von Stein erst einmal das Metzgerhandwerk. Zur Entlas­tung seiner Mutter steht er, ebenso wie Manuela Scholz, wenn es der Turnierplan erlaubt, meist einmal im Monat am Wochenende am Herd des Gasthofs. Beruf und Hobby zugleich, denn die Gaststätte ist einer der Haupt­er­werbs­zweige des Von Stein’schen Anwesens: «An guten Wochenenden kommen pro Tag bis zu 150 Portionen an Hauptgerichten auf den Tisch.» Bis zu 100 Personen können im Gasthof bewirtet werden und hier werden auch die Zeugnisse seiner Erfolge aus dem Spring- und Fahrsport aufbewahrt. Doch nicht nur das, unter der Woche spielt sich hier das Familienleben ab. Um halb eins steht das Mittag­essen auf dem Tisch. Mit dabei Georgs drei Jahre jüngerer Bruder Markus, ein gelernter Landwirt, der für die 100 Hektar grosse Landwirtschaft des Hofes zuständig ist. Mit ihm dabei sind sein siebenjähriger Sohn Philipp, der nicht die Pferdebegeisterung seines Onkels, aber die Begeisterung fürs Traktorfahren von seinem Vater geerbt hat, und seine zehnjährige Tochter Hanna, die schon in Springprüfungen gestartet ist. Georg von Steins und Manuela Scholz’ Kinder kommen ganz nach ihren Eltern: Der sechsjährige Henrik hat schon erste Turniererfahrungen in Reiterwettbewerben gesammelt, seine dreijährige Schwester Julia übt sich bereits auf Ponys und Georgs 14-jähriger Sohn Tim hat schon alle Fahrabzeichen erworben. «Er fährt mit seinem eigenen Ponygespann bereits zweispännig auf Turnieren.» Die nächste Generation Von Stein wächst im Fahrsport schon heran!

Georg von Stein mit seinen Vierbeinern unterwegs in der unmittel­baren Umgebung seines Hofs, wo sich auch die eigenen Zuchtpferde auf der Weide tummeln.

Mit seiner Mutter als treibende Kraft wurden 1994 die Reithalle, über der Georg von Stein und seine Familie wohnen, und der Stalltrakt als zusätzliches Standbein auf dem elterlichen Hof errichtet. Seit 2009 betreiben Georg von Stein und Manuela Scholz den Reit- und Fahrbetrieb gemeinsam. Während Georgs Schwerpunkt im Reit­sport immer das Springen war, ist es bei der Pferdewirtschaftsmeisterin Zucht und Haltung mit Trainerlizenzen im Fahren und Reiten eher die Dressur. Vom «Fahrvirus» ist die 36-Jährige von kleinauf ebenfalls befallen, denn ihr Vater war der international erfolgreiche, aber schon früh verstorbene, sächsische Viererzugfahrer Steffen Scholz. So haben sich Georg und sie auch auf einem Fahrturnier kennen- und lieben gelernt. Neben der Ausbildung und dem Training der Fahrpferde, von denen sie vor allem die jüngeren gelegentlich auf Reitturnieren vorstellt, widmet sich Manuela besonders dem reiterlichen Nachwuchs auf den vier hofeigenen Schulpferden. Insgesamt stehen in der Pferde­sportanlage rund 50 Pferde. Davon 40 eigene, wovon wiederum 15 bis 20 aktive Fahrpferde sind, denn Georg von Stein hat nicht nur ein Gespann für die Aussensaison, sondern seit drei Jahren auch ein zweites für die Hallenweltcupsaison. Hinzu kommen vier Zuchtstuten, von denen in diesem Jahr drei tragend sind. Und, welche Eigenschaften schätzt Georg von Stein, der in seinem Aussengespann vor allem Niederländer Rappen und in seinem Hallengespann schwarze Lipizzaner mit Ausnahme jeweils eines im Besitz von Rudolf Temporini befindlichen Hannoveranerwallachs fährt, besonders? «Bewegungsstarke Pferde wie sie auch die Dressurreiter suchen», so der Mannschafts-Vizeeuropameister. «Das ist gar nicht weit weg voneinander. Wir brauchen auch im Fahrsport für die Dressur geeignete Pferde, vor allem mit einem guten starken Trab. Wir brauchen Vorderpferde mit viel Bewegungspotenzial, die sich präsentieren können und wollen. Die Stangenpferde benötigen auch ein gewisses Mass an Bewegung, müssen aber vor allem zugfest sein, um den Wagen kontinuierlich ohne Veränderung in der Gangreinheit ziehen zu können. Sie dürfen auch nicht ganz so sensibel wie die Vorderpferde sein, sondern etwas ‘rustikaler’.» Wie sich die Neuzugänge später vor der Kutsche verhalten werden, lässt sich allerdings nur schwer voraussagen. «Es stellt sich meis­tens erst im Laufe eines Jahres vor dem Wagen heraus, ob sie genügend klar im Kopf und arbeitsbereit sind. Für Kutschpferde ist die Leis­tungs­bereit­schaft ganz wichtig. Das Pferd muss die richtige Arbeitseinstellung haben, um einen Wagen zu ziehen.»
Fahrpferde zu züchten, das Ziel verfolgt Georg von Stein nicht. «Ich konzentriere mich auf die Zucht von sich gut bewegenden Springpferden. Fahrpferde zu züchten ist noch viel schwieriger. Da müssen nicht nur die Leistungseigenschaften stimmen, sondern auch noch Farbe und Grösse. Aber, wir bilden derzeit die erste Stute aus eigener Zucht aus, die ihren Weg in den Viererzug nehmen wird.»

Aachen als grosses Ziel

Neben dem Springsport begann Georg von Stein immer mehr ein- und zweispännig zu fahren, ab dem Jahr 2000 auch vierspännig. «Eigentlich kam ich zum Fahrsport in meinem Bestreben, die Pferde individueller zu arbeiten. Erst vor der Schleppe, dann vor dem Wagen. Auf die Idee, meine Springpferde vor die Schleppe zu spannen, hat mich Ludger Beerbaum gebracht, der in seinem Buch schrieb, dass er dies mit Ratina Z tun würde, damit sie mehr Kraft in der Hinterhand bekäme. Wenn ich einen vor den Wagen spanne, um ihn auf Kraft zu trainieren, dann kann ich dies auch gleich mit zwei Pferden tun. Relativ schnell habe ich mich entschieden, das Fahren richtig zu erlernen, habe mich schulen lassen und meine Fahrabzeichen gemacht. Dann habe ich gedacht, nun kann ich auch mal auf ein Turnier fahren», erinnert sich Von Stein, «dort war ich schnell erfolgreich und so probierte ich, durchzustarten und mir meinen Wunsch zu erfüllen, grosse Turniere zu bestreiten. Das war im Fahren sicherlich einfacher als im Springen.»
Eine grosse Motivation waren dabei auch die Erfolge von Michael Freund, der nur eine dreiviertel Autostunde von ihm entfernt lebt. «Michael ist eine Rarität und es war für mich schwer vorstellbar, jemals an ihn heranzukommen und so den Sport zu betreiben wie er. Er hat mir in den Jahren 2007 und 2008, als er die Perspektivgruppe Fahren unseres Verbandes leitete, sehr geholfen. Das war der grösste Sprung nach vorne für mich.»

Georg mit seiner Lebenspartnerin Manuela Scholz und den gemeinsamen Kindern Julia und Henrik.

Was die Ausbildung seiner Fahrpferde betrifft, so profitiert Von Stein von seiner reiterlichen Erfahrung. «Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass jeder Fahranfänger im Vorteil ist, der schon auf eine reiterliche Erfahrung blicken kann. Es gibt eine ganze Menge Menschen, die erst im Alter, wenn sie sich Pferde leisten können, mit dem Fahren beginnen, ohne je geritten zu sein. Sie haben es ganz schwer. Das Gefühl aus dem Sattel zu kennen, was es bedeutet, wenn ein Pferd aus der Hinterhand über den Rücken ans Gebiss herantritt, fehlt ihnen ganz. Mir hat die Reiterei auch beim Fahren sehr viel geholfen. Es gibt heute unter den Fahrern ganz viele Lenker, aber nur wenige Fahrer. Die ‘Lenker’ geben Gas und lenken, aber wie man ein Pferd richtig durcharbeitet von hinten nach vorne, wissen sie nicht. Ebenso wenig, was Versammlung, Kadenz oder ein unter den Schwerpunkt fussendes Hinterbein ist. Das ist alles deutlich einfacher zu erklären, wenn jemand im Hintern gefühlt hat, wie setze ich Kreuz und Schenkel ein. Im Fahrsport ist das grosse Problem, dass man Pferde­typen braucht, die man nicht ständig packen muss, damit sie sich vom Gebiss abstossen. Beim Reiten ist es viel einfacher, das Pferd aufzurichten.»
Während der Hallensaison hat das Gespann für die Championate eine Ruhepause, kommt auf die Weide, geht an der Longe. Nur die Pferde, die in der kommenden Grünen Saison erstmals eingesetzt werden sollen, müssen ran bei der Arbeit, die anderen dürfen relaxen. Ab Herbst ist der Fokus auf das Hallengespann gerichtet.
Der genaue Tagesablauf hängt gerade im Winter von den Licht- und nicht zuletzt von den Wetterverhältnissen ab. In der Regel spannt Georg von Stein aber auch dann fünf- bis sechsmal täglich an, darunter zumindest einmal auch vierspännig. Der Arbeitstag beginnt um sieben mit einem Stallrundgang und der ersten Trainingseinheit mit Sascha Utz, der noch vor seinem Geschäftstag auf dem Bock sitzt. Um acht fährt Georg von Stein, der neben Manuela Scholz von zwei Mitarbeitern unterstützt wird, normalerweise schon sein ers­tes eigenes Gespann. Die Arbeit wird nur vom Mittagessen unterbrochen, dann geht es gleich mit den nächsten Gespannen weiter.

Bekannter Trainer

Mit Platz drei bei der ers­ten Weltcupqualifikation der Saison 2017/18 in Stuttgart, der allerdings nicht für die Wertung zählte, da der Modautaler mit einer Wildcard gestartet war, begann die Hallensaison sehr gut und setzte sich mit einem zweiten Platz in Genf noch besser fort. Am Ende sollte es in dieser Hallensaison aber mit Rang sieben in der Gesamtwertung für eine Finalqualifikation wegen eines Platzes und eines Punktes nicht reichen. Topfahrer wie den US-Amerikaner Chester Weber oder den Franzosen Benjamin Aillaud liess Von Stein dabei aber im Ranking hinter sich.
Sein bisher wichtigster Erfolg ist für ihn die Teilnahme und die Teambronzemedaille bei den WEG 2010 in Kentucky (USA). «Für mich war es in vielerlei Hinsicht das erste Mal: das erste Mal zum Team zu gehören, das erste Mal mit den Pferden zu fliegen und dann mit Bronze nach Hause zu kommen! Ich habe um die Teilnahme sehr gekämpft. Die komplette Saison war auf Kentucky ausgerichtet.» Nachdem die Arbeit mit dem amtierenden Weltmeister Boyd Exell bei der EM 2017 in Göteborg so erfolgreich verlief, wird es Anfang April wieder eine dreitägige «Trainingssession» mit dem in den Niederlanden lebenden Australier geben. Auch ein erneutes Training vor den Weltreiterspielen in Tryon ist angedacht. «Aber eine so intensive Betreuung während des Wettkampfes wie in Göteborg wird es sicherlich nicht geben, wenn Boyd Exell selbst teilnimmt und seinen WM-­Titel verteidigen will.» Zu Exells Strategie zählt es, dass er an allen Marathonhindernissen Mitarbeiter postiert hat, die auf die Sekunde genau durchgeben, welcher Weg durch die Hindernisse der schnellste ist. Da Boyd Exell gewöhnlich schon als Sieger aus der Dressur hervorgeht, ist er mit dem bisherigen Reglement immer als Letzter in den Marathonkurs gestartet, konnte somit die Ergebnisse von fast allen seiner Konkurrenten noch  ins Kalkül ziehen. Dies wird es so in Zukunft nicht mehr geben, es sei denn, das Los entscheidet es so, denn so Georg von Stein: «Eine Reglementsänderung sieht vor, dass das Starterfeld nach dem Dressurergebnis in drei Blöcke geteilt und innerhalb dieser die Startreihenfolge gelost wird.»

Von Stein muss auch in der Küche des heimischen Gasthofes mithelfen.

Nicht verändern sollte sich, so Von Stein, allerdings die Reihenfolge der Disziplinen bei der Kombinierten Prüfung mit Dressur, Marathon und Kegelfahren. «Wenn der Marathon die letzte Disziplin wäre, würde der Entscheidung sehr viel an Spannung verloren gehen. Das Kegelfahren hätte nach der Dressur und vor dem Marathon nicht mehr so viel Auswirkung, da jeder verhalten fahren und darauf hoffen würde, im Marathon das Ergebnis noch zu verändern. Wenn das Kegelfahren am Ende die Entscheidung bringt, müssen die Fahrer viel mehr riskieren und die Anspannung ist viel grösser und damit auch die Gefahr, einen Fehler zu machen. Der Druck lastet ganz besonders auf dem führenden Fahrer, was die Spannung für das Publikum noch einmal erhöht.»

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 7/2018)

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