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Klassisches Bild von Turnierstallungen am hellichten Tag: Die Prüfungen sind in vollem Gange und die Stallungen fast menschenleer.
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«Wir fühlen uns nicht mehr sicher»

27.08.2014 08:56
von  Melina Haefeli //

Der tragische Tod des Jack Russells im Rahmen des CSI3* San Giovanni (ITA) vor rund 14 Tagen ging vielen – nicht nur Pferdesportlern – unter die Haut. Doch an­scheinend leiden einige internationale Springturniere auf diesem Stern-Niveau grundsätzlich unter Missständen, was die Sicherheit betrifft. Nicht genügend Bewachungspersonal, systematischer Diebstahl in den Stallungen, aufgebrochene Autos und Pferde­trans­por­ter oder auch fragwürdige Dopingkontrollen sind gemäss einiger Schweizer Springreiter keine Seltenheit an diesen Turnieren.

«Eine einzige Person zur Kontrolle des Eingangs der Stallungen reicht einfach nicht bei solch einer grossen Anlage», so Sabrina Crotta gegenüber der «PferdeWoche» wäh­rend ihrer Heimreise vom CSI3* San Giovanni. «Jeder hätte nach Lust und Laune zu den Pferden spazieren können.» Sättel, Stiefel und sogar Futter seien stündlich verschwunden und zwar in einem solchen Ausmass, dass es den Anschein nach organisiertem Diebstahl machte. «Hier handelte es sich nicht mehr nur um einfache Klauerei, an die man sich tragischerweise schon gewöhnt hat und mit der man bei ungenügender Vorsicht rechnen muss. Es trieben sich auch dubiose Leute bei den Stallungen und im Bereich der Lastwagen herum.» Solange es «nur» das Material betreffe, sei es einfach sehr ärgerlich und mit unangenehmen Aufwand verbunden. Aber wenn sie vom Turnier nach Hause ins Tessin fahren und Fabio Crotta, ihr Mann, im vollen Ernst zu ihr sage, «Sabi, ich kann mich da einfach nicht mehr konzentrieren. Ich habe Angst um unsere Pferde, ich habe Angst um unseren Sohn Mike und um dich», das könne es doch einfach nicht sein? «Wir finden es einfach schade, dass so schöne Turniere mit toller Infrastruktur, wie San Giovanni eines ist, unter solchen Missständen leiden. Da muss man doch etwas tun können?»

Masse statt Klasse

Auch Manuel Pinto und seine Frau Fabia Scola Pinto waren in San Giovanni zugegen. Diese Zustände seien nicht nur in Italien der Fall. Sondern an all diesen «Massen-Turnieren» bis Dreistern-Niveau herrschen ähnliche Umstände. «Überall dort, wo die ganz grossen Reiter nicht kommen, versuchen es die Veranstalter mit der Masse zu kompensieren», so Manuel Pinto. Das sei zum Beispiel auch in Frankreich der Fall, wo sie auch oft unterwegs seien. «Während die Organisatoren der ‘besseren’ Dreistern-Turniere maximal rund 250 Pferde annehmen, empfangen Concours wie eben San Giovanni, aber auch Gorla Minore (ITA), Vidauban (FRA) und Co. gerne 500 bis 600 Pferde.» Man spüre halt auch die Sparmassnahmen immer mehr. Alles werde teurer. «Mittlerweile bezahlen wir sogar Gebühren für die Mistentsorgung oder die Elektrizität, die grösstenteils gar nicht funktioniert. Immer mehr Reiter wollen an Turniere ins Ausland und fast jeder, der möchte, kann mitreiten. Ich denke, diese Massenabfertigung ist eine allgemeine Entwicklung, unter der die Sicherheit leidet.» Damit bestätigt auch er die miserablen Sicherheitsvorkehrungen. «Mit einer Schnur und einer einzigen Person sollen die Stallungen gesichert sein? Wenn ich an solch einem Turnier jemals in eine Dopingkontrolle kommen sollte, würde ich diese vehement ablehnen», so die klaren Worte des Spring­reiters aus Hausen am Albis ZH. Denn es könne ja jedermann in die Stallungen reinspazieren. «Es ist schon fast zum Normalzustand geworden, an den man sich zu gewöhnt hat. In San Giovanni schlugen die Emotionen mit den unzähligen Vorfällen und dem Tod des Hundes als Höhepunkt besonders hoch.»

Die wunderschönen Anlagen bieten theoretisch optimale Turnier-Bedingungen.


Von einem Nachtjournal keine Spur

Auch Carola Steurer-Hautle aus Balgach SG hat einiges zu berichten. Sie und ihr Mann, Otto Steurer, reisen schon seit einigen Jahren nach Italien an internationale Turniere. «Noch vor ein paar Jahren waren in San Giovanni knapp 40 Personen für den Bereich der Stallungen angestellt. Damals war es in puncto Sicherheit und Organisation ein Vorzeige-Turnier. Heute sind es sieben, vielleicht neun Angestellte. Bei fast 700 Pferden – während die Anlage für wahrscheinlich etwa 400 eingerichtet wäre – reicht das einfach nicht», beklagt sich Carola Steurer-Hautle. Früher habe man sich allgemein besser bewacht gefühlt: «Da gab es noch Patrouillen mit Hunden im Bereich der Stallungen und LKWs. So, wie es sich eigentlich gehört.» Diesmal habe sie nicht einmal jemanden gesehen, der das obligatorische Nachtjournal führt, worauf Personen mit Namen, Grund und Uhrzeit aufgeführt werden, die zu Unzeiten die Stallungen betreten möchten. «Ausserdem war das elektrische Tor nicht funktionstüchtig und stand daher grösstenteils sperr­angelweit offen.» Sie beschreibt die Situation in San Giovanni weiter: «Wenn man mit den Pferden ankommt und in den Boxen wenigstens einen Strohballen antrifft, kann man von Glück reden. Man ist kurz für zwei Minuten nicht im Stall, da ist das Handy und die Sonnenbrille weg. Bei den Briten hinter uns wurde sogar der Kühlschrank aufgebrochen oder ein ganzer Sporen-Ring wurde am hellichten Tag entwendet. Man kommt am Morgen in den Stall und hat – trotz abgeschlossener Sattelkiste – keine Sättel mehr. Das muss organisierter Diebstahl sein.» Man habe sogar das Gefühl bekommen, dass das Stall- und Sicherheitspersonal involviert sei. «Allgemein war die Angst in San Giovanni ausgesprochen gross – auch um unsere Pferde. Und dies nicht nur bei uns.»
Auch der Familie Duguet wurde schon in den abgeschlossenen LKW eingebrochen. «Vor ein paar Jahren hat man unseren LKW in Italien aufgebrochen und alles gestohlen, was man gerade in die Hände bekam: Gürtel, Handtaschen, Laptop, Fotoapparat. Alles Dinge, wofür man irgendwo ein bisschen Geld bekommt», berichtet Christiana Duguet. «An internationalen Turnieren ist es Vorschrift, dass die Stallungen für unbefugte Personen nicht zugänglich sein dürfen. Man ist sich eigentlich auch gewöhnt, dass sich die LKWs in abgegrenzten Zonen befinden», so die Frau von Romain Duguet weiter. «Selbsterklärend leiden Turniere, die nahe an Gross­städten liegen, viel mehr unter solchen Verbrechen. Um unsere Pferde verspürten wir bisher aber noch nie Angst.» Sie könnte sich vorstellen, dass Patrouillen mit Hunden in den betroffenen Bereichen dem Problem schon sehr gut entgegenwirken könnten.

Nicht rechtskräftige Dopingkontrolle

Fabien Walder, Amateur-Springreiter und seit Jahren ferienhalber an Turnieren wie San Giovanni, Gorla Minore oder San Laz­zaro unterwegs, sagt zum Thema Sicherheit an diesen Turnieren: «Wenn die Bewachung überhaupt besteht, dann ist sie ‘hunde’-elend.» Die ganzen Entwendungen von Material seien ja eine Sache. Aber wenn man Angst um die Tiere bekommt, dann ist das etwas ganz anderes. Das eine Pferd von Walder kam in die Dopingkontrolle. Da es in der Dopingbox sehr unruhig war, weil es von den anderen Pferden getrennt war, habe die zuständige Tierärztin entschlossen, das Pferd in seine eigene Box zurückzubringen und dort die Urin­probe zu entnehmen – mit der Begründung, bei dieser Aufregung werde das Tier ja nie Wasser lassen. «Das ist ja gar nicht rechtens», ärgert sich der 44-Jährige. Er habe die Jury-Präsidentin auf dem Platz auf die organisatorischen und sicherheitstechnischen Missstände hingewiesen. Aber die Antwort sei nicht viel mehr als ein Schulterzucken gewesen.

Ist Boykott die Lösung?

Könnte ein Boykott dieser Turniere die Lösung sein? Wohl kaum. «Die Startplätze würden einfach mit anderen Reitern aufgefüllt, wenn wir Schweizer nicht mehr gehen», so Manuel Pinto. Und alle sind sich einig, dass dringender Handlungsbedarf besteht – nicht nur in San Giovanni: «Es sind wunderschöne Anlagen. Wir finden es einfach schade, wenn solche Rahmenbedingungen herrschen und würden es daher sehr begrüssen, wenn unser Dachverband diese Problematik aufgreift und an die FEI heranträgt. Das muss von ‘oben’ kommen, damit sich etwas verändern kann.»
Nadine Niklaus (Kommunikation und Marketing des Schweizerischen Verbandes für Pferdesport SVPS) erläutert das Vorgehen folgendermassen: «Die Reiter müssen unbedingt auf Platz die Missstände bei der ‘Ground Jury’ beziehungsweise dem Steward melden. Aufgrund dieser Meldung erfolgt eine Information an die FEI. Bei Kenntnissen von Vorfällen und Missständen und der entsprechenden Mitteilung kann der SVPS zu Händen der FEI zusätzlich einen Antrag auf Abklärung verfassen.

Klare Sicherheitsvorschriften

Matthias Löchner, «General-Steward» der Schweiz, erklärt: «Es gibt ganz klare Vorgaben der FEI, die zu erfüllen sind und vom beauftragten Chief-Steward vor Ort kontrolliert werden müssen.» Grundsätzlich müsse man zwischen der Sicherheitszone 1 (Stallungen) und der Sicherheitszone 2 (Abreitplatz, Weg der Pferde von Stallungen zu Abreitplatz) unterscheiden. Zu den Stallungen seien sowieso nur gekennzeichnete Personen zugelassen. Das sind in der Regel nur Reiter, Pferdepfleger, Pferdebesitzer, Equipenchefs, bestimmte Tierärzte oder andere Personen, die mit der Kennzeichnung wie beispielsweise den farbigen Bändeln ausgerüstet sind. Etwa eine halbe Stunde bis eine Stunde nach der letzten Prüfung des Tages herrscht im Stall «Nacht-Betrieb». Ab da ist es Pflicht, dass das Sicherheitspersonal in einem Journal jede Bewegung von Personen in den Stall mit Name und Grund dokumentiert. Abschliessend sagt Löchner: «Es passiert ja wirklich sehr wenig. Aber wenn einmal etwas passiert, sind es leider meistens gravierende Vorfälle. Wir Stewards werden zwar oft auch als störend empfunden. Diese Beschwerden und Vorkommnisse zeigen jedoch deutlich, dass die Arbeit der Chief-Stewards von grosser Bedeutung ist.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 34/2014)

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