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PMU – endlich – auch in der Deutschschweiz.
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«Zehn Franken auf die Nummer eins»

12.11.2013 15:28
von  Willi Bär //

Seit Anfang September kann man in der Deutschschweiz auch ausserhalb der Rennbahnen auf Pferde wetten. Zurzeit sind zwischen Bad Ragaz und Zuchwil rund sechzig Gastronomielokale dem Netz des französischen Wett-Unternehmens PMU angeschlossen.

In Frankreich und in der Romandie gehört das grüne PMU-Logo seit langem zum Strassenbild jedes mittleren oder grösseren Ortes. Seit kurzem trifft man es vereinzelt auch in der Deutschschweiz, so etwa in Tann im Zürcher Oberland. Als wir an einem Samstagnachmittag das Restaurant Sandhof betreten, sitzt ein halbes Dutzend Männer in der Gaststube. Obwohl im anderen Teil des Raums auf einem grossen Flachbildschirm Roger Federer gegen Novak Djokovic um den Einzug in den Final des Pariser ATP-Turniers spielt, richten sich ihre Blicke auf einen kleineren Bildschirm, auf dem die Vorbereitungen für ein Hindernisrennen in Paris-Auteuil übertragen werden. Auf einem zweiten Monitor daneben sieht man in Form von drei Zahlenreihen, die Startnummern der Pferde und die dazu gehörenden Siegquoten, die im Halbminutentakt wechseln.

Neu in der Turf-Welt

Die meisten der Anwesenden hatten bis vor einigen Wochen keine Ahnung von Pferderennen. Sie gehören nicht zu den gewieften Turfis­ten, die nach akribischem Studium der Pferde und ihrer bisherigen Leis­tungen eine komplexe Wette ausklügeln. Da die normalerweise aufliegende Rennzeitung Geny Courses an diesem Tag nicht geliefert worden ist, kann sich der «PferdeWoche»-Fotograf, der sich in Zürich das Fachblatt «Paris-Turf» besorgt hat, als Einziger auf eine schriftliche Unterlage abstützen. Doch der heiteren Stimmung tut dies keinen Abbruch. Man wirft einen Blick auf die Quoten, entscheidet sich je nach Naturell für den Favoriten, einen Aussenseiter oder etwas dazwischen und ruft dem Wirt die entsprechende Nummer zu. Dieser tippt das Gewünschte in die Kasse und bringt dem Gast das ausgedruckte Wett-Ticket an den Tisch.

Hier kann man wetten.

 

Anfängerglück

Die Erfolgsquote der Neuwetter lässt sich sehen: Der Mann am Tisch neben uns erhält für einige Franken Einsatz zwei Zwanzigernoten und diverse Münzen zurück und die Frau, die mal schauen wollte, «wie das Rössli-Spiel funktioniert», hat mit den zwei Pferden, auf die sie gewettet hat, den Sieger getroffen. Nur der Fotograf und der Schreiber, die seit Jahrzehnten mit Passion den Rennsport verfolgen, gehen leer aus. Nichts Neues für den Wirt, der schon mehrfach beobachtet hat, dass die «Insider» oder «Experten» schlechter abschneiden als die Laien. «Gestern hat einer die Auswahl der Pferde dem nach Zufallsprinzip operierenden Computer überlassen und dabei in der Wette '2 sur 4' mit 50 Franken Einsatz annähernd 400 gewonnen.»

Wettschein-Dispenser und der Bildschirm, auf dem man die Rennen live verfolgen kann.

 

Täglicher Jackpot in Millionenhöhe

Aktuell gibt es in den Deutschschweizer Kantonen 62 Lokale, in denen auf die PMU-Rennen gewettet werden kann, einige davon befinden sich allerdings im französischsprachigen Teil des Kantons Bern. Angeboten werden neben den einfachen Sieg- und Platzwetten auch diverse Kombinationswetten bis hin zum Quinté, das in Frankreich und der Romandie ähnlich populär ist wie bei uns Lotto. Zu der Tag für Tag in einem Rennen angebotenen Wette, bei der es die ersten fünf Pferde zu treffen gilt, gehört ein Jackpot in Millionenhöhe.

Plakat der PMU-Annahmen im Kanton Zürich.

Täglich kann man auf 30 bis 40 Rennen wetten. Ab der Mittagszeit bis am späten Abend wird – normalerwei­se im Wechsel zwischen den Disziplinen Galopp und Trab – jede Viertelstunde ein neues Rennen gestartet. Die meisten Übertragungen kommen aus Frankreich, doch in den letzten Jahren hat die PMU ihr internationales Angebot stark ausgebaut. So ge­hören neben den wichtigs­ten Turf-Ereignissen aus England, Irland, Deutschland, Italien, Japan, Hong­kong oder Südafrika auch Meetings wie der Dubai World Cup oder der Bree­ders’ Cup zum Angebot. Aus der Schweiz werden jährlich rund 250 Rennen live gesendet, grösstenteils aus Avenches, aber auch aus Frauenfeld und St. Moritz. Avenches ist gemessen an der Anzahl von PMU-Renntagen hinter vier französischen Veranstaltern die Nummer fünf.

Nummer eins in Europa

Mit über zehn Milliarden Euro Umsatz pro Jahr ist das französische Unternehmen PMU (Pari Mutuel Urbain) der grösste europäische Wettanbieter und weltweit hinter einer japanischen Gesellschaft die Nummer zwei. Der Wettriese verfügt in Frankreich über ein Netz von 11800 Annahmestellen und erreicht laut eigenen Angaben sieben Millionen Kunden. Über Frankreich hinaus bekannt ist Pari Mutuel Urbain als Sponsor des grünen Trikots, das jeweils vom Punkteleader der Tour de France getragen wird.

Wett-Terminal in der Annahmestelle.

PMU gehört nicht privaten Besitzern, sondern dem durch diverse Organisationen und Verbände vertretenen französischen Renn­sport. Das hat zur Folge, dass der Gewinn, der letztes Jahr 860 Millionen Euro betrug, nicht wie in den Buchmacher dominierten Ländern grösstenteils in privaten Taschen landet, sondern in den Rennsport zurückfliesst. Aufgrund dieses Systems ist Frankreich das europäische Turf-Land mit den höchsten Rennpreisen, das immer mehr Starter aus den umliegenden Ländern wie Deutschland, Italien oder England anzieht.
Ende der 80er-Jahre nahm Jean-Pierre Kratzer mit Pari Mutuel Urbain Kontakt auf, um die PMU-Wette in die Schweiz zu holen. Nach der Überwindung diverser bü­rokratischer und föderalistischer Hürden wurde sie 1991 in der Romandie lanciert. Die neue Wette erwies sich schnell als Erfolg. Bereits 1992 erreichte man einen Jahresumsatz von 50 Millionen Franken. Mittlerweile gibt es in der französischen Schweiz mehr als 200 Annahmestellen, die Jahr für Jahr gesamthaft einen Umsatz von deutlich über hundert Millionen Franken erwirtschaften. Für das Jahr 2013 rechnet Kratzer mit einem Umsatz von rund 130 Millionen Franken. 12,75 Prozent der Bruttoeinnahmen (Umsatz minus Auszahlungen an die Wettenden) gehen an die Adec (Association pour le Développement de l’Elevage et des Courses/deutsch: Vereinigung zur Förderung von Zucht und Rennen). Insgesamt sind in den letzten 23 Jahren rund 70 Millionen Franken auf das Adec-Konto überwiesen worden. Die Rennen in Avenches werden fast ausschliesslich mit diesen Geldern finanziert.

Hoffnungsschimmer für Rennvereine

Schon seit vielen Jahren war die Rede von einer Ausweitung des PMU-Angebots auf die Deutschschweiz, wo es seit der Einstellung der Trio-Wette im Jahr 1989 keine Wette ausserhalb der Rennbahn mehr gab. Doch aufgrund von gesetzlichen oder politischen Hürden, unglücklichen Konstellationen, Rivalitäten und mangelndem Interesse folgten den Ankündigungen keine Taten. Die meisten Turfisten hatten das Projekt der PMU-Wette Deutschschweiz wohl schon abgeschrieben, als die interkantonale Lotterie- und Wettkomission Comlot letztes Jahr Swisslos eine Bewilligung für die Einführung von PMU-Pferdewetten erteilte. Am 2. September 2013 wurde in Paris von PMU, Swisslos und dem Schweizerischen Verband für Pferde­sport (SVPS) ein Vertrag unterzeichnet, der nach dem Vorbild der Romandie die Modalitäten regelt. Bereits am Tag danach wurden in der Deutschschweiz erstmals PMU-Wetten angeboten. Noch keine Bewilligung gibt es für Graubünden und die beiden Basel. In allen anderen Kantonen darf Swiss­los ihre Wette anbieten und mit der Ausnahme einiger Kleinkantone tut sie dies auch.

PMU-Stand in Saignelégier.

Dass die PMU-Wette in der Deutschschweiz im Unterschied zur Romandie keinen Blitzstart hingelegt hat, erstaunt wenig. Während sich in manchen Lokalen kaum jemand für die neue Spielmöglichkeit interessiert, läuft es an einigen Verkaufsstellen nicht schlecht. «Viel hängt vom jeweiligen Wirt oder der Betreiberin des Lokals ab» meint Swisslos-Mediensprecher Willy Mess­mer. «Wir sind uns bewusst, dass die PMU-Wette in der Deutschschweiz eine gewisse Anlaufzeit braucht, denn im Unterschied zur nach Frankreich orientierten Romandie war sie hierzulande bislang weitgehend unbekannt.»

Auf einen Erfolg der neu lancierten Wette hoffen auch die Deutschschweizer Rennvereine, die Jahr für Jahr nur unter grossen Be­mühungen genügend Sponsoren für ihre Rennen akquirieren. Ein finanzieller Zustupf käme da sehr gelegen. Doch dafür muss das Spiel auf die schnellen Pfer­de zuerst einmal florieren und Gewinn abwerfen.

Wo man wetten kann

Seit dem 3. September kamen in der Deutschschweiz fast täglich neue Anbieter der PMU-Wette dazu. Bei Redaktionsschluss gab es insgesamt 62 Verkaufsstellen. Wo sie sich befinden, kann man auf der Internetseite von Swisslos unter dem untenstehenden Link nachschauen. Dort werden auch die einzelnen Wettarten vorgestellt und erklärt.

www.swisslos.ch/swisslos/de/lottoportal/pmu/pmu_home.jsp

 

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 45/2013)

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