Suche
Max E. Ammann
Previous Next
Standpunkt

Der «High Jump»

19.01.2021 09:12
von  Max E. Ammann //

Bei der erneuten Lektüre des 1913 erschienenen Buches von Louis d’Havrincourt «Dressage en Liberté du Cheval d’Obstacles» stiess ich beim letzten Kapitel auf einen Text über das «Championnat en Hauteur», mit einigen wenig bekannten Details über die Anfänge des «High Jump». Der Hochsprung als pferdesportliche Disziplin ist seit Langem verschwunden. Die Blütezeit war in den 20 Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. In den Zwischenkriegsjahren gab es einige erfolgreiche Weltrekordversuche und 1949 einen letzten in Chile, mit übersprungenen 2.47 Metern. Dieser Rekord wird noch heute von der FEI geführt. In den 70er-Jahren gab es in Frankreich (durch Michel Parot) und in England (während der «Olympia Horse Show») weitere Rekordversuche, ohne Erfolg. Seither ist der «High Jump» über das Hochsprunggestell verschwunden. Auch die Puissance über die Mauer, die in den 80er-Jahren eine letzte Blüte erlebte, gibt es nur noch selten. Der inoffizielle, von der FEI nicht anerkannte Puissance-«Weltrekord» steht auf 2.40 Meter, von Franke Sloothaak 1991 mit Leonardo. Der «Schweizer Rekord» wurde 1988 von Markus Fuchs mit Puschkin mit 2.35 Meter aufgestellt.

Keine lange Vorgeschichte

Im Buch von Louis d’Havrincourt (1863 bis 1928) erwähnt der um die Jahrhundertwende (1900) erfolgreiche französische Springreiter, dass er seinerzeit – Mitte der 90er-Jahre des 19. Jahrhunderts – eines der ers­ten französischen Hochsprungchampionate im «Palais de l’Indus­trie» mit 1.70 Meter gewonnen habe. Einige Jahre später, um 1900, habe der Belgier Philippot mit Black Devil in Spa erstmals die Höhe von zwei Metern übersprungen. Dies mag ein Hinweis sein, dass der «High Jump» in den Jahrzehnten seit der ersten Austragung 1868 an der «Dublin Horse Show» an den pferdesportlichen Anlässen seinerzeit keine grosse Rolle spiel­te. Erst nach der Jahrhundertwen­de wurde er vor allem bei französischen und belgischen Springkonkurrenzen zur wichtigsten Prüfung.

Erster Rekord

Beim ersten grossen CSI der Pferdesportgeschichte, vom 9. bis 17. Juni 1902 in Turin, übersprang Federico Caprilli mit Mesoppo 2.08 Meter. Dies wurde später von der 1921 gegründeten FEI als erster Hochsprungweltrekord anerkannt. Die FEI ignorierte damit die Rekordhöhe von 2.40 Meter, die im gleichen Jahr 1902 der Vollblüter Hea­therbloom unter Dick Donnelly in Richmond, Virginia, in den USA aufgestellt hatte. Die FEI war damals, und blieb es jahrzehntelang, eine rein europäische Organisation – obwohl die USA 1921 zu den Gründernationen der FEI gehörte.
1912 wurde der nordamerikanische Rekord in Ottawa von Confidence, im kanadischen Besitz der Familie Sifton und von Jack Hamilton geritten, auf 2.45 Meter verbessert. Dies hätte eigentlich die FEI akzeptieren müssen. Denn im gleichen Jahr 1912 hatte Confidence bei zwei Starts in Europa (in Den Haag und in Londons Olympiahalle) die Hochsprungkonkurrenz gewonnen, wie auch noch zweimal in Kanada (Toronto und Coburg). Die Siegeshöhen der vier Prüfungen lagen zwischen 2.27 Meter und 2.39 Meter. Der Rekord von Confidence von 2.45 Meter wurde 1923 von Fred Vesey mit Great Heart auf 2.46 Meter verbessert.

Höher, immer höher

Nach den bescheidenen 2.08 Meter von Caprilli 1902 in Turin ging es auch in Europa aufwärts. 1904 in San Sebastian übersprang der Artillerie-Hauptmann Georges Crousse mit Conspirateur 2.23 Meter. Nur zwei Jahre später 1906 waren es bereits 2.35 Meter in Paris. Crousse wagte danach den verrückten Versuch über 2.50 Meter, der scheiterte. Conspirateur war ein aus Aus­tralien importierter Vollblüter im Besitz des Champagnerherstellers H. Mumm. Da die 2.40 Meter Höhe von Heatherbloom inzwischen auch in Europa bekannt geworden war, kamen Pläne für ein Duell der beiden Hochspringer auf. Auf einer französische Bank wurde ein Preisgeld von 10000 Franken deponiert und ein Wettbüro nahm Wetten an – einige 100000 Franken seien gewettet worden. Aber die beiden Parteien wurden sich nicht einig, welches der beiden Pferde den Ozean (per Schiff) überqueren müsste. Auch die Alternativlösung, einen Wettkampf am gleichen Tag, in den USA und in Frankreich, über ein gleichgebautes Hindernis, wurde nicht angenommen. So kam es nie zum Direktvergleich.

Weltrekordverbesserungen

Conspirateurs Weltrekord von 2.35 Meter wurde 1912 in Vittel gebrochen, und zwar gleich zweimal. Die 2.36 Meter übersprangen nachei­nander Montjoie III von René Ricard und Biskra von François de Juge Montespieu. In den 30er-Jahren wurde der Weltrekord zweimal verbessert: 1933 in Paris durch den französischen Offizier Christian de Castries mit dem in der Normandie gezogenen Vol-au-Vent mit 2.38 Meter und 1938 durch den italienischen Capt. Antonio Gutierrez auf den Irländer Osoppo über 2.44 Meter. Die beiden Weltrekordverbesserungen waren reine Rekordversuche – Hochsprungkonkurrenzen gab es schon lange nicht mehr. Christian de Castries wurde in 1954 als Kommandeur der französischen Truppen in der Schlacht von Dien Bien Phu weltberühmt – dessen Verlust das Ende der französischen Herrschaft in Vietnam bedeutete. 1949 begann sich die chilenische Armee für den Weltrekord zu inte­ressieren. Capt. Alberto Larraguibel und Huaso hatten 1948 2.27 Meter übersprungen. Nun begann ein intensives Hochsprungtraining. Am 5. Februar 1949 übersprang das Paar die 2.47 Meter im dritten Versuch. Dies war und bleibt Weltrekord.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 3/2021)

[...zurück]