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Max E. Ammann
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Standpunkt

Fräulein Elisabeth Walter 1913 in Luzern

05.02.2019 09:49
von  Max E. Ammann //

Eine der häufigsten Fragen mit Hoffnung auf eine Antwort ist: Wer ist der oder die Erste, die etwas erreicht hat: den höchsten Berg bestiegen, den Südpol zu Fuss erreicht oder, im Pferdesport, wer war die erste Amazone, die olympisch mitreiten durfte, welche gewann die erste Medaille und welche Frau wurde
erste Olympiasiegerin im Pferdesport?

Eine Frage wurde noch nicht gestellt: Wer war die erste Schweizer Amazone, die international an den Start ging? Meine Nachforschungen zum Jubi­lä­umsbuch des SVPS «120 Jahre Pferdesport Schweiz» brachte die Antwort. Es ist Fräulein Elisabeth Walter, die 1913 beim einzigen Luzerner Amazonenspringen der Jahre vor dem Ers­ten Weltkrieg an den Start ging und als Vierte auch platziert war.
Als ich in den frühen 70er-Jahren an meinen ersten Büchern arbeitete, «Der Eidgenoss» 1974 und «Geschichte des Pferdesports» 1976, korrespondierte ich mit der über 80-jährigen Elisabeth Walter, verheiratete Bottazzi, nicht zuletzt, weil auch ihr Bruder, Lt. Georges Walter, zu den Schweizer Offizieren gehörte, die von 1909 bis 1914 an der Halde in Luzern international geritten waren. Von diesem Geschwis­terpaar soll hier berichtet werden. Die beiden wurden 1890 (Georges) und 1893 (Elisabeth) in Basel geboren. Ihre Mutter Berthe heiratete 1908 in zweiter Ehe den Reitlehrer Adolphe Mercier und zog mit ihm und den beiden Kindern im gleichen Jahr an den Genfersee. Vorerst auf den Besitz Les Genêts in Bursinel. Dann erwarb Berthe Mercier 1917 Schloss La Gordanne bei Perroy. Dort wuchsen die Geschwister auf und fanden ihre Leidenschaft für die Pferde, ausgebildet von ihrem Stiefvater.

Stiefvater Adolphe Mercier

Adolphe Mercier, von 1919 bis 1929 Reitlehrer an der Eidgenössischen Pferderegieanstalt in Thun und 1924 und 1928 Olympiateilnehmer in der Dressur, war der Sohn eines Lausanner Reitschulbesitzers («Manège de l’Eglanti­ne»), der seinerseits der Enkel eines Offiziers war, der die Feldzü­ge Bonapartes mitgemacht hatte. Die Merciers, als protestantische Hugenotten, waren um 1685 nach dem Widerruf des Edikts von Nantes in die Schweiz geflohen, wo sie in Morges siedelten.
Adolphe Mercier ritt als Springreiter von 1911 bis 1914 viermal in Luzern, sein Stiefsohn Georges Walter, nun Leutnant, begleitete ihn ab 1912. Bereits vom ersten Luzerner Concours an hiess das Eröffnungsspringen «Prix des Dames». Aber Amazonen waren explizit ausgeschlossen – es war eine Prüfung nur für Offiziere. Erst für 1913 entschloss sich der organisierende Rennclub Luzern, ein Amazonenspringen auszuschreiben. Der «Prix des Dames» am ersten Tag wurde für 1913 in «Prix St. Georges» umgetauft und am dritten Tag kam es zum «Springen für Damen». Nur sechs Pfer­de wurden gesattelt: fünf aus Deutschland und Dai­sy des jungen Leutnant Walter, geritten von seiner 20-jährigen Schwes­ter Elisabeth. Frau Major Willmer, im Damensattel, ritt drei Pferde und belegte mit ihnen gleich die drei ersten Plätze. Als Vierte, noch vor den beiden andern deutschen Damen, platzierte sich die im Herrensattel reitende Elisabeth Walter. Es war der erste und bis Mitte der 20er-Jahre einzige internationale Start einer Schweizer Amazone.

Afrika-Traum erfüllt

Fräulein Walter, gut behütet auf Schloss La Gordanne lebend, ab 1919 ohne den täglichen Reitunterricht des nach Thun berufenen Stiefvaters Adolphe Mercier, erfüllte sich 1923 ihren Afrika-Traum. Sie reiste nach Nairobi, Kenia. Dort lernte sie den Juristen Umberto Bottazzi kennen, einen italienischen Diplomaten im Dienste der italienischen Kolonialverwaltung. Mit ihrem Ehemann im Kolonialdienst lebte sie in den folgenden Jahren in praktisch allen italienischen Kolonien Afrikas: in Abessinien (heute Äthiopien), Eritrea, Tripolitanien (Lib­yen) und vor allem Somalia, wo ihr Ehemann als Vizegou­verneur amtierte.
1942 wurde die Familie von den Engländern verhaftet und in ein Konzentrationslager in Kenia gebracht. Elisabeth Bottazzi und ihr 14-jähriger Sohn wurden nach einem Jahr freigelassen, ihr Ehemann und der ältere Sohn blieben bis 1946 im Lager. Nach einem halben Jahrzehnt in Rom kehrte Elisabeth Bottazzi 1958 als 65-Jährige nach Afrika zu­rück, diesmal nach Ruan­da, wo sie über 80-jährig starb. In ihren Briefen schrieb sie über ihre Reiterlebnisse in Afrika, so von Wüstenritten mit Vollblutarabern in Laghouat, Algerien.

Patente für 60 Erfindungen

Ihr Bruder Georges, der bereits als 15-Jähriger in Morges und Yverdon, zu jener Zeit zwei der bedeutendsten Schweizer Concoursplätze, gestartet war, wurde nach Abschluss seiner Studien ein vielbeachteter Entwickler auf dem Gebiet des Betonbaus. Er erhielt Patente für über 60 Erfindungen. Er starb 1962. Deren Stiefvater Adolphe Mercier übernahm nach dem Rücktritt von der Regie die Reitschule St. Jakob in Basel, die er bis 1941 führte. Er starb 1956.

Stoffel, Haecky und Schwarzenbach

Die Schweizer Amazonen mussten bis Mitte der 20er-Jahre warten, bis sie international wieder starten konnten. 1926 gab es bei den beiden damaligen Schweizer CHIO von Luzern und Genf erstmals Amazonenspringen. In Luzern siegte Annelies Stoffel, die Mutter des letzten Jahr verstorbenen Ale­xander Stoffel, und in Genf gewann Marussia Haecky, aus dem pferdefreundlichen Basler Handelshaus Haecky.
Diese beiden gehörten in den folgenden zehn Jahren zusammen mit Re­née Schwarzenbach (der Mutter von Military­reiter Hans Schwarzenbach) zu den erfolgreichsten Amazonen des internationalen Pferdesports. Weitere erfolgreiche Schweizerinnen jener Zwischen­kriegsjah­re waren Ingeborg Schürch (die Tante der in den 60er-Jahren reitenden Vreni Schürch), die Zürcherin Buxli Weber und Marni-Dolly Straumann-Bühler – und dann na­türlich, die lange in der Schweiz lebende und reitende Madeleine Röntgen.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 5/2019)

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