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Max E. Ammann
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Standpunkt

Jan Kowalczyk

14.07.2020 08:14
von  Max E. Ammann //

Am 24. Februar starb, 79-jährig, Jan Kowalczyk, der Springolympiasieger der Olympischen Spiele von 1980 in Moskau. Die Spiele wurden vom Westen boykottiert, die Beteiligung bescheidener als bei jedem internationalen Turnier. Aber: Jan Kowalczyk war der würdigs­te Sieger im Feld der 17 Reiter aus sieben Nationen.

In den 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war Polen die erfolgreichste Pferdesportnation des kommunistischen Ostens. Im Fahren waren die Polen Weltklasse, in der Military konnten sie mit den Besten mithalten und im Springen fielen sie nicht ab. Bei ihren Besuchen beim CHIO Aachen brillierten sie vor allem in den Zeitspringen. Allein Kowalczyk gewann mit der schnellen Drobnica ein halbes Dutzend Prüfungen in Aachen.

Viele polnische Springmedaillen

Noch erfolgreicher waren die polnischen Reiter in den 20er-Jahren. Die Springreiter gewannen von 1925 bis 1938 16 Nationenpreise, darunter zweimal in Nizza und dreimal in New York. An den Olympischen Spielen 1924 in Paris holte sich Adam Królikiewicz hinter Alphonse Gemuseus und dem Italiener Tommaso Lequio di Assaba Bronze. 1928 in Amsterdam gewann die polnische Equipe Mannschaftssilber. Adam Królikiewicz, dessen Tochter Krys­tyna in den 60er- und 70er-Jahren eine gefeierte Schauspielerin war, gewann 1924, neben seiner olympischen Bronzemedaille, die GP von Luzern und Nizza. 1925 siegte er erneut in Nizza und 1926 in Rom. Sieger in Nizza 1927 wurde Kazimierz Szosland, der in acht der 16 polnischen Nationenpreissiege in der Mannschaft ritt. Zu den grossen Reitern Polens gehörte auch Karol von Rommel. 1912 ritt er für das zaristische Russland bei den Olympischen Spielen in Stockholm. 1924 und 1928 für das 1918 wiedererstandene Polen. Von Rommel wurde als Sohn einer deutschen Familie in Weissrussland geboren, dann wurde er Russe, dann Pole – ein Hinweis auf die politischen Umwälzungen nach dem Ers­ten Weltkrieg. Polen wurde 1025 zum Königreich, dann zur Republik, bis es 1795 an die Grossmächte Russland und Preussen verteilt wurde. Die polnische Kultur und der Glaube an Polen blieben und 1918 entstand es als Republik neu. Zurück zum Sport. Ebenso erfolgreich wie der Springreiter waren in den Zwischenkriegsjahren die Militaryreiter. 1928 gewannen sie an den Olympischen Spielen Mannschaftsbronze (mit Von Rommel) und 1936 in Berlin Silber.

Dressur unter «ferner ritten»

In der Dressur blieben die Polen abseits. Das Desinteresse Polens an der Dressur setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Nur einmal nahmen sie an einer internationalen Meisterschaft teil: an den Boykottspielen 1980. Sie mussten als Satellitenland der Sowjetunion teilnehmen, damit überhaupt Dressurmedaillen verteilt werden konnten. Die drei Polen in Moskau waren kaum auf St.-Georg-Niveau. Im Feld der 14 Starter belegten sie die Plätze elf, 13, 14, dies mit Punktzahlen von 1061, 954, 930 (Siegerin Theurer erhielt 1623 Punkte). Der Beste der Polen war Józef Zagor – 25 Jahre später gewann sein Sohn das Weltcupspringen in Leipzig.
Der berühmteste polnische Olympiareiter der Zwischenkriegsjahre war Tadeusz Komorowski, der unter dem Kriegsnamen «Bór« Oberbefehlshaber des polnischen Aufstandes von 1944 gegen die Nazi-Besetzung war. An den Olympischen Spielen in Paris hatte Komorowski als Major die Military auf Platz 24 beendet – 1936 war er Equipenchef der Silberequipe.
Nach dem Krieg dauerte es bis Ende der 50er-Jahre, bis sich Polen wieder im internationalen Pferdesport beteiligte. 1960 startete eine Militaryequipe an den OS in Rom und 1964 wurde der erste Nachkriegs-CSIO in Olsztyn ausgetragen (vor dem Krieg hatte es von 1927 bis 1939 CSIOs in Warschau gegeben). Die Springreiter, angeführt von Jan Kowalczyk und Marian Kozicki, beide in Uniform, durften in den 60er-Jahren regelmässig in den Wes­ten. 1964 gewann Polen den ers­ten Nationenpreis in Olsztyn, 1966 in Leipzig in der DDR. In der 1965 eingeführten Jahreswertung der Nationenpreise, dem Präsidentencup, waren die Polen von 1965 bis 1969 jedes Mal unter den ersten zehn, dreimal vor und zweimal hinter den Schweizern. An Olympia startete die polnische Springequipe 1968 in Mexiko (Platz elf) und 1972 in München (Platz zwölf). In Moskau 1980, wo Kowalczyk mit Artemor Einzelolympiasieger wurde, gewann Polen hinter der Sowjetunion Teamsilber, mit je zwei Reitern in Uniform und zwei im roten Rock (Kowalczyk war Oberstabsgefreiter).

Military-Europameister

Erfolgreicher als die Springreiter waren die polnischen Militaryreiter. 1965 wurde Marian Babirecki mit Volt Europameister. Er trainierte später die Reiter Kubas. Dort ertrank er 1980, erst 47-jährig, beim Scubatauchen im Atlantik. 1981 gewann Polen EM-Teambronze hinter der Schweiz. Im Jahr zuvor, an den Boykottspielen in Moskau, war die polnische Militaryequipe ausgeschieden. Dafür gab es 1988 überraschend Platz vier in Seoul (KOR).

Erfolgreiche Fahrer

Am erfolgreichsten waren die Fahrer: vorerst in den 70er-Jahren die Vierspänner, dann in den 80er- und 90er-Jahren die Zweispänner. Bei den Vierspännern waren es Zygmunt Waliszewski, Tadeusz Czerminski, Zygmunt Szymoniak, Antoni Musial und Wladyslaw Adamczyk, die drei WM- und sechs EM-Medaillen gewannen. Der erfolgreichste der Polen war Wali­szewski, WM-Dritter 1976 und EM-Dritter 1979. Die fünf Fahrer repräsentierten die ganze Skala der Gestütshierarchie: vom Direktor bis zum Wärter – mit umgekehrten Talenten notabene. Bei den Zweispännern, die von 1987 bis 1995 acht WM-Medaillen gewannen (wie bei den Vierspännern keine goldene) war Roman Kusz der erfolgreichste. Zweimal wurde er EM-Einzeldritter und sechsmal gewann er eine Mannschaftsmedaille – von 1987 bis 1995 bei fünf EM ohne Unterbruch. Zu erwähnen sind noch die Voltigierer. Hinter den überragenden Schweizern aus St. Gallen und den Deutschen gelang es den Polen bei zwei WM und zwei EM die Gruppenbronzemedaille zu erringen (1988, 1992, 1993, 2003). Nach dem Fall des kommunistischen Regimes 1989 verloren die Polen vorerst international den Anschluss. Die Gelder des Sportkomitees und der Ministerien blieben aus. Die Osteuropaliga des Weltcups wurde praktisch mit westlichen Sponsorengeldern durchgeführt. Heute sind polnische Erfolge bei internationalen Championaten selten. Zu erwähnen die zwei WM-Teammedaillen bei den Einspännern 2016 und 2018.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 28/20)

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