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Max E. Ammann
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Standpunkt

Nostalgische Gedanken

21.03.2017 12:45
von  Max E. Ammann //

Am Pfingstmontag 1947 fuhr ich mit meinem Vater erstmals an die Pfingstrennen in Frauenfeld. Vater kaufte Sattelplatz für neun Franken, das Stehplatzgebiet vor der neuen Tribüne, von wo aus man Zugang zu Führring und Abreitplatz hatte. Ich sass unter der Abschrankung auf dem Boden, mit Blick auf ein Wunderwerk: den Jubiläumswall. Bei jedem der fast jährlichen Besuche des Pfingstrennens staunte ich über den Jubiläumswall und die Möglichkeiten, die er bot: den Wall hinauf, dann Abrutsch, durch den Tunnel, Aufsprung und Absprung von der Butte.

Mein erstes Pferdeidol war Exilé, bereits 1936 olympisch mit Hans Iklé, nun im Beritt des St. Galler Textilfabrikanten Arnold Mettler. Auf der Rennbahn begeis­terten mich drei Pferde: Epi Noir, Feuer­blick und Meerwind. Bei späteren Besuchen auf der Frauenfelder Allmend, besonders an der Viererzug-WM 1974 und der Military-EM von 1983, konnte ich Erinnerungen an den Jubiläumswall auffrischen. Es war mir bewusst, dass der 1941 zum 25-jäh­rigen Jubiläum des Rennvereins Frauenfeld erbaute Jubiläumswall nicht nur Bewunderer hatte. Viele Reiter lehnten seine Einbeziehung in einen Springparcours ab. Auch als 1972 ein Tartanbelag gelegt wurde, gab es Kritik. Aber der Jubiläumswall war ein Monument, ein Zeugnis glorreicher Schweizer Pferde­sportgeschichte. Und nun ist er verschwunden. Auf der Abbildung, die den Kurzbericht in der «PferdeWoche» über den Abriss begleitete, sieht man, wie verfallen der Jubiläumswall war. Es fehlte wohl das Geld zur Sanierung eines Denkmals, für das man keine Verwendung mehr hatte – bedauerlich. Denn in einer Zeit, wo man sich bei jedem einigermassen interessanten Bauwerk Gedanken um seine Erhaltung macht und wo der Denkmalschutz bei vielen Indus­triebauten sei­ne schützende Hand darüber hält, hätte auch die Erhaltung des Jubiläumswalls eine breiter abgestützte Debatte verdient, als nur der Abbruchentscheid eines kleinen Rennvereins. Vieles, ja fast alles aus der Geschichte des Schweizer Pferde­sports ist verschwunden. Noch exis­tiert das einstige Depot, später EMPFA (Eidgenössische Militärpferdeanstalt) und heute NPZ (Nationales Pferdezentrum). Aber ein Teil der Anlage wurde in den 70er-Jahren abgebrochen, um den Neubau des EMD zu erlauben. Ich erinnere mich an eine Zusammenkunft zu jener Zeit mit Gus­tav A. Frey, der 1957/58 zusammen mit Willy Houriet als erster Fahrer die Schweiz in Aachen vertreten hatte (1958 wurde Frey in Aachen als bester Fahrer ausgezeichnet). Nun, rund 20 Jahre später, zeig­te mir Frey mit Tränen in den Augen Fotos vom Abbruch der Ställe.

Reitsportgeschichte veschwunden

Den vom damaligen Kommandanten des Depots, Oberst Henri Poudret, erstellten Springgarten gibt es noch, hoffentlich auch noch in 50 Jahren. Denn dort wurde internationale Pferdesportgeschichte geschrieben. Von den grossen Turnierplätzen der Schweiz der Jahre bis 1980 ist nichts mehr vorhanden. Auf der Hausermatte an der Halde in Luzern am Vierwaldstättersee wurde 1976 zum letzten Mal geritten. Das Ende kam, als die Luzerner Stadtbehörden beschlossen, einen Seeuferweg zu bauen und dabei vergassen, dass ein zweifellos begrüssenswerter Spazierweg am See den Turnierplatz mit danebenstehender Hauser Villa vom See abtrennt. Heute ist die Hausermatte überbaut, die Villa heisst jetzt Villa Schweizerhof und wird vom Hotel Schweizerhof geführt. Es bietet Zimmer mit Seeblick und ein Restaurant.
Das St. Galler Breitfeld sah 1977 noch die EM der Dressurreiter. Dann wurde die Autobahn gebaut. Die St. Galler Pferdesporttage zogen über den Bajonetthügel ins Gründenmoos. Auch das legendäre Schänzli in Muttenz bei Basel gibt es nur in einer neuen Form, in der man wenig vom alten Schänzli erkennt. Bleibt noch das seit 1927 bestehende internationale Hallenturnier von Genf, das bis 1973 im «Palais des Expositions» bei der «Plain de Plainpalais» ausgetragen wurde. Das «Palais des Expositions» wurde abgebrochen, heute reitet man im Palexpo beim Flughafen. Dies unter weit besseren Voraussetzungen, nicht zuletzt für die Pferde, die im alten «Palais des Expositions» im fensterlosen Keller eingestellt waren. Dies als Hinweis, dass bei aller Nostalgie für das Vergangene, angeblich Schönere, das Praktische und die Fortschritte nicht ignoriert werden dürfen.

«Pferdemord»

Bleibt als Positivum dieser Nostalgiegedanken, die Erinnerung an das grossartige Plakat, das Hans Falk 1958 für die Pfingstrennen Frauenfeld schuf und das dann jahrzehntelang für den Anlass warb. Als Negativum sei der Fall Hummer erwähnt, der 1950 die Schweiz bewegte. Hauptmann Hans Moser hatte 1948 mit dem in Ungarn gezogenen Hummer in London olympisches Gold gewonnen. Der damals zwölf­jährige Hummer ge­hörte der Eidgenössischen Pferderegieanstalt Thun. Als diese zwei Jahre später aufgelöst wurde, liess der Kommandant der Regie, Oberst Max Thommen, den 14-jährigen Hummer erschiessen. Ob der Oberst das aus fehlender Sensibilität tat oder als Folge von jahrelangen Ressentiments des als Reiter nur mittelmässig erfolgreichen Vorgesetzten gegenüber dem Olympiasieger, sei dahingestellt. Der tote Hummer löste nicht zuletzt in der Schweizer Presse ein gewaltiges Echo aus: Man sprach von Pferdemord.
Interessant ist, dass Thommen bei Mosers Olympiasieg einer der drei Richter war. Der Schweizer punktete seinen Landsmann mit riesigem Vorsprung als Sieger. Die beiden anderen Richter sahen Moser nur auf Platz vier. Beizufügen ist, dass der schwedische Richter seine drei Reiter auf die ersten drei Plätze punktete. Das genügte nicht für den Einzelsieg, den Moser mit den Punkten seines Kommandanten holte, gab aber Schweden Mannschaftsgold. Dieses verloren sie, als sich herausstellte, dass Gehnäll Persson als Unteroffizier gar nicht startberechtigt war und nur kurzfristig für die Olympischen Spiele zum Leutnant befördert worden war (ab 1952 waren auch Unteroffiziere und Frauen olympisch startberechtigt, womit sich die Schweizer Erfolge fortsetzten).

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 11/2017)

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