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Max E. Ammann
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Standpunkt

Pferdesport in der Sowjetunion (2. Teil)

27.09.2016 14:12
von  Max E. Ammann //

Während des kürzlichen Besuches am wunderbaren Traditionsfahrturnier in Rothenburg/Sempach wurde ich auf den Standpunkt vom 7. September über die sowjetischen Reiter angesprochen und gefragt, ob ich auch Reitturniere in der einstigen Sowjetunion besucht habe.

Habe ich. 1991 und 1992, in der Gorbatschow-Arena, war ich Mitorganisator von zwei Weltcupturnieren in Moskau. In den Jahren danach besuchte ich, nach dem Zerfall der Sow­jetunion, Weltcupturniere in den nun unabhängigen Ländern Lettland, Litauen, Estland, Kasachstan und Ukraine. Der erste Besuch in der Sowjetunion galt allerdings nicht den Pferden. 1987 beschlossen wir, vor dem CSI-W Helsinki, einen Abstecher nach St. Petersburg zu machen. So fuhren wir am 19. Oktober 1987 mit der Eisenbahn von Helsinki ins ehemalige Leningrad. Es war eine denkwürdige Reise. Nicht nur wegen der grossartigen Stadt, mit dem Winterpalast, der Hermitage oder der Admiralität, sondern auch der Reise wegen. Im nur schwach besetzten Zug gab es, abgesehen von uns, kaum Touristen, auch Geschäftsleute konnte man nicht erkennen. Jeder oder jede in den Abteilen schien einen bestimmten aussergewöhnlichen Reisegrund zu haben, geredet wurde kaum. Ende der 80er-Jahre inte­ressierte sich das sowjetische FEI-Bureau-Mitglied Igor Bobylev um die Ausrichtung eines internationalen Turniers in Moskau. Er offerierte als Austragungsort das olympische Reitstadion von 1980. Igor Bobylev, Professor der Veterinärmedizin, war Präsident der FEI-Veterinär-kommission. Da er aber von den westlichen Mitgliedern nicht ernst genommen wurde, war Bobylev auch innerhalb der FEI nicht angesehen. Prinz Philip, der damalige FEI-Präsident, nannte ihn einmal Prinz Igor, und der Name blieb an dem liebenswerten, aber schussligen Professor hängen. Als ich Bobylev im Oktober 1990 – beim ersten Ins­pektionsbesuch in seinem Land, in Moskau, erlebte, staunte ich über die Hochachtung, die dem Professor von seinen Landsleuten entgegengebracht wurde, und die Leichtigkeit, mit der er Türen öffnete und Sachen ermöglichte. Diese Diskrepanz zwischen dem Eindruck, den jemand im Ausland hinterlässt und der Anerkennung zu Hause, erlebte ich kurz darauf auch in Ägypten. Da war der ägyptische General Saad Khalifa. Im FEI-Bureau wurde er kaum ernst genommen. Aber, bei meinen Besuchen bei den CSI in Kairo und Alexandria, konnte General Khalifa, wie ein Sesam-öffne-dich, alles mühelos arrangieren.

Moskau

Der erste CSI-W Moskau fand im Juli 1991 im olympischen Reitstadion von Bitsa statt – eine grossartige Anlage, mit Springstadion, Dressurstadion, grosszügigen Pferdeboxen, Pferdeklinik und viel Land für den Geländeritt einer Military. Aber eben: Alles war, nur elf Jahre nach den Olympischen Spielen von 1980, am verlottern. Noch am Eröffnungstag des CSI-W versuchten einige Maurer und Maler die gröbsten Mängel zu verdecken. Finanziert wurde dieser CSI 1991, wie der CSIO-W Mos­kau 1992, mit Sponsorengeldern aus dem Wes­ten. Volvo, der damalige Weltcupsponsor, machte natürlich mit, ebenso Dunhill, damals sehr präsent im internationalen Pferde­sport. Die Zigarettenfabrikanten erkannten, dass die lange vom westlichen Luxus entfernen Osteuro­päer eine potentielle Goldgrube darstellten. Da in diesen ersten Jahren ein Bankensystem, wie wir es im Westen kannten, in den nun vom Kommunismus befreiten Ländern des Os­tens kaum im Ansatz existierte, wurde das ganze Turnier mit Bargeld finanziert. Die Schweizer Franken wurden im Hosensack des Weltcupdirektors nach Moskau geflogen und dort für Pferdefutter, Unterbringung der Reiter, Essen im Restaurant oder Preisgeld ausbezahlt. 1992 folg­te das zweite Moskauer Turnier, diesmal ein CSIO-W.
Professor Bobylev, vom Zustand Bitsas im Jahr zuvor entsetzt, schlug für 1992 einen neuen Austragungsort vor: den Vorführplatz des Pferdezuchtpavillons auf dem riesigen Gelände der «Wirtschaftlichen Errungenschaften der Sowjetunion». Zum ers­ten Mal überhaupt wur­de so 1992 in der Sowjetunion ein Nationenpreis ausgetragen. Es siegte, in ihrem ersten Nationenpreis seit 1934, das wieder unabhängig gewordenen Estland, vor der Misch­equipe EUN, mit Reitern aus den einstigen Teilrepubliken der Sowjetunion – wie Georgien. Dahinter Ungarn, Litauen (in ihrem ersten Nationenpreisstart überhaupt) und Rumänien. Als spezielle Attraktion gab der Dressurolympiasieger von 1960, Sergej Filatow, nun 66-jährig, eine Vorführung – glücklicherweise nicht gerichtet.
Wie im Jahr zuvor in Bitsa baute der Parcoursbauer von 1980, Vyatcheslaw Kartarsky. Und wie im Vorjahr musste der von der FEI nominierte TD, 1991 war es George Morris, 1992 Bill Steinkraus, einschreiten, um dem vom internationalen Geschehen weit entfernten Kartarsky zu helfen.

Riga, Vilnius und Tallinn

In den darauffolgenden drei Jahren besuchte ich die erstmals ausgetragenen CSI-W in den neu unabhängig geworden drei baltischen Republiken: in Riga, Vilnius und Tallinn. Die drei Länder hatten sich nach dem Zerfall der Sowjetunion am schnellsten angepasst und organisierten tadellose Turniere. 1998 wollte auch Kasachs­tan in Zentralasien im Weltcup mitmachen. Wir gründeten eine Liga dort, mit Prüfungen in Kasachs­tan, Kirgistan und Us­be­kis­tan. Reiter dieser drei Länder starteten in Almaty, der damaligen Hauptstadt Kasachstans. Ebenfalls am Start waren vier russische Reiter aus Novosibirsk in Sibirien sowie ein Damenteam aus China, bei, so nehme ich an, dem ersten chinesischen Auslandstart. Ehrengast beim Turnier auf dem Armee-Hippodrom war ein Kosmonaut. Erstaunlich, was ein einheimischer Richter unserem ausländischen Richter, Hanfried Haring, antwortete, als dieser ihn fragte, warum sie so zurückhaltend seien. Die Antwort: Sie und Herr Ammann erinnern uns an die Politkommissare aus Moskau, die in den Jahrzehnten der Sowjetunion aufgetaucht seien, um die Loyalität der Kasachen zur kommunis­tischen Ideologie zu prüfen. Wunderschön die Landschaft entlang der alten Seidenstrasse: das Tian-Shan-Gebirge im Hintergrund und davor die gewaltigen «Rolling Hills» mit seinen Pferdeherden. Interessant war ein Besuch im alten, jetzt verfallenen Eisschnelllaufstadion, wo in den 50er-Jahren im damals noch Alma Ata genannten Almaty Dutzende von Weltrekorde gelaufen worden waren.
2002 kam die letzte Reise ins einstige Sowjetreich: nach Kiew, die Hauptstadt der Ukraine. Die pferdebegeisterte Geschäftsfrau Irina Musiyenko organisierte dort einen CSI-W. Anwesend am Drei-Tage-Turnier war ein nicht sehr gesprächiger Mann mit seiner lebhaften Ex-Miss-Ehefrau. Es war Alexander Onischenko, der bereits angefangen hatte, sich im internationalen Pferde­sport breitzumachen.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 38/2016)

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