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Max E. Ammann
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Standpunkt

Pferdesport in Osteuropa (1945 bis 1989)

15.06.2021 10:29
von  Max E. Ammann //

Als 1989 die kommunistischen Regierungen in Osteuropa zusammenbrachen, endete auch zeitweise die rund 35-jährige, erfolgreiche Teilnahme osteuropäischer Reiter und Fahrer an westlichen Turnieren. Nach 1989 verschwand die DDR. Die Tschechoslowakei wurde aufgeteilt, von der grossen Sowjetunion blieb nur Russland. 14 ehemalige Teile wurden unabhängig, so die Ukra­ine, Georgien, Weissrussland, die drei baltischen Staaten und sieben Gebiete in Asien. Wenig später begann auch der Zerfall Jugoslawiens.

Sowjetunion und Polen

In den rund 35 Jahren (1952 bis 1989) gab es für die Länder Osteuropas einige schöne internationale Erfolge. Die Sowjetrussen gehörten ab Ende Mitte der 50er-Jahre zu den grossen drei in der Dressur – zusammen mit der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz. Dazu gab es immer wieder FEI-Championatsmedaillen in der Military. 1959 gewann die sowjetische Springreiterequipe den damals wichtigen Nationenpreis von Paris. Wettkampfmässig gefahren wurde in der Sowjetunion nicht. In der Military wurde die Sowjetunion dreimal Mannschaftseuropameister und endete dreimal auf Platz zwei. Dazu gewann ein sowjetischer Reiter 1973 den Einzel-EM-Titel.
Die Polen gehörten im Fahrsport zu den ganz Grossen. Bei den Zweispännern gewannen sie fünf WM-Medaillen, bei den Vierspännern vier WM- und sechs EM-Medaillen. In der Military war Polen in der   Weltspitze. 1965 gewann der Pole Marian Babirecki den EM-Einzeltitel. Im Springen konnten sie dank ihren schnellen «Polen-Böcken», wie sie damals genannt wurden, in den Zeitspringen mithalten. An der Dressur bestand in Polen bereits in den Vorkriegsjahren kein Inte­resse.

Ungarn und Tschechoslowakei

Die Ungarn waren absolute Weltklasse bei den Fahrern, bei den Vier- wie bei den Zweispännern. Von 1974 bis 1984 gewannen sie fünf der sechs WM-Einzeltitel und zwei Mannschaftsgoldmedaillen. Aber Ungarns Reiter in den drei olympischen Disziplinen sah man nur selten im Westen.
Auch bei den Tschechoslowaken waren die Fahrer am erfolgreichs­ten, ohne dass es zu einer FEI-Championatsmedaille reichte. Wenig hörte man von den Dressur- und Springreitern. Immerhin hatten die Letzteren zwei wichtige Startmöglichkeiten zu Hause an der CSIO von Prag und Bratislava.

DDR

Die DDR erlaubte ihren Reitern nur gerade während fünf Jahren Reisen ins westliche Ausland: von 1967 bis 1972. Der erste Weststart war 1967 bei der internationalen Military von Badminton. 1968, an den Olympischen Spielen in Mexiko City, startete je eine Dressur- und Militaryequipe. Die drei Dressurreiter Köhler, Müller und Brockmüller wurden Vierte – Horst Köhler Einzelfünfter. An der EM 1969 holte sich das Dressurtrio die Silbermedaille, 1970 an der WM Bronze. Die Springreiter blieben zu Hause, auch an die Olympischen Spiele 1972 in München durften sie nicht, dagegen die Dressur- und Militaryreiter. Beide Equipen wurden Fünfte. Danach entzog der DDR-Staat dem Pferdesport die Förderungsmittel. Zu erwähnen noch, dass 1960 und 1964, auf Wunsch des IOC, die DDR in eine gesamtdeutsche Mannschaft integriert werden musste. So ritten die DDR-Militaryreiter Schulz und Fuhrmann in Rom und Tokio.

Rumänien und Bulgarien

Von den Ländern des Balkans erfreuten die rumänischen Dressurreiter. Allerdings weniger durch ihre Resultate als mit ihren eleganten, farbigen Uniformen. 1956 war ein rumänischer Zivilreiter bei den Olympischen Spielen dabei: George Theodorescu, der dann in Deutschland blieb. Dort ritt er erfolgreich, wurde ein geschätzter Trainer und der Vater von Monica Theodorescu. Die rumänischen Springreiter waren auf dem bescheidenen Niveau der Ungarn und Tschechoslowaken.
Ihre Nachbarn, die Bulgaren, ritten durchwegs im roten Rock im Springen wie in der Dressur auf dem Niveau der Rumänen. Dagegen stellte Bulgarien zu jener Zeit die erfolgreichste Militarymannschaft des Balkans, allerdings nicht auf FEI-Championatsniveau.

Jugoslawien

Die Jugoslawen beschränkten ihre internationale Tätigkeit auf die Balkanmeisterschaften, an denen auch die Türkei und Griechenland mitmachten. In den Jahren bis 1990 gewann Jugoslawien bei den Bal­kanmeisterschaften zwei Goldmedaillen im Springen und drei in der Dressur – die Letzteren in den 80er-Jahren durch die Reiter aus Lipica. Ein einziges Mal, 1963, durfte eine jugoslawische Springequipe in den Westen, an den CSIO Genf. Von reitsportlichen Aktivitäten Albaniens war nichts bekannt.

Begleitet von Funktionären

Am Beispiel Polen soll aufgezeigt werden, wie damals Reisen ins westliche Ausland zustande kamen. Die Initiative kam von den Funktionären, vom nationalen Pferdesportverband und den beteiligten Minis­terien, Verteidigung und Landwirtschaft. Auf Auslandsreisen erhielten die Funktionäre Devisen und konnten einkaufen. Trotz fehlender Erfolge wurde fürs nächste Jahr geplant. Die erfolglos zurückgekehrten Reiter bestritten zu Hause Ausscheidungen für den nächsten Trip. Blieben sie vorne, so reisten Jan Kowalczyk und Marian Kozicki erneut nach Aachen, begleitet von den Funktionären.
Jahrzehnte zuvor, in den Zwischenkriegsjahren 1918 bis 1939, waren Polen, Ungarn, die Tschechoslowakei, Rumänien und Bulgarien in allen drei olympischen Disziplinen international erfolgreich. Von der Sow­jetunion, damals das einzige kommunistische Land, sind aus den Zwischenkriegsjahren keine internationalen Starts bekannt. Erst 1952 wagten sie sich an die Olympischen Spiele im benachbarten Finnland – mit mässigem Erfolg. Die sow­jetische Reiterei, seit 1914 ohne Auslandskontakte, war bei den Lehren von James Fillis stehen geblieben. Bereits 1957/58 stiessen die sowjetischen Dressurreiter zur Weltspitze, die Militaryreiter gwannen EM-Medaillen und die Springreiter konnten mithalten. Nach dem Zerfall des Kommunismus in Osteuropa nach 1989 erlebte der dortige Pferdesport einige schwierige Jahre. Die Staatsgelder von den Sportkomitees fielen weg, die Zuchtorganisationen mussten sich neu orientieren. Am sichtbarsten war der Leistungsabfall bei den russischen Dressurreitern, wo in den Jahrzehnten nach 1989 nur gerade Nina Menkova an die glorreichen Sowjetreiter erinnern konnte. Dafür überraschte in den 90er-Jahren der Ungare Gyula Dallos mit Dressur-EM-Bronze 1993.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 24/2021)

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