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Erhard Schneider kennt die Arbeit mit Pferden noch aus der Praxis.
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Ein Leben fast wie Ueli der Pächter

04.09.2018 11:30
von  Werner Schönenberger //

Erhard Schneider hätte am liebsten ein Leben lang mit Pferden gearbeitet. Nie schaffte er es – auch wenn er die richtige Frau heiratete – ein grosser Bauer zu werden. Er bewirtschaftete in besten Zeiten 13 Hektaren Pachtland rund um Burgdorf und hatte dadurch Futter für neun Kühe und ein bis zwei Pferde. Seine Frau half ihm, wo sie konnte. Sein bisheriges Leben erinnert deshalb stark an Gotthelfs Roman Ueli der Pächter. Beide verloren nie den Mut, auch wenn sich der Wandel der Zeit gegen ihre Liebe zu den Arbeitspferden entwickelte. Sie hatten nie die Möglichkeit, ein grosser «Glunggebuur» zu werden.


Erhard Schneider zog es während der Schulzeit immer zu einem Pferdebauer in seiner Nachbarschaft. Sein Vater war ein bescheidener Arbeiter, der seinem Sohn den Einstieg in die Landwirtschaft nicht einfach machte. Doch der junge und pferdeverrückte Erhard setzte nach einem Welschlandaufenthalt seinen Kopf durch und absolvierte eine landwirtschaftliche Ausbildung in der Jahresschule Rüti in Zollikofen. Im Militär zog es ihn zu den Traintruppen. Seine Karriere reichte bis zum Wachtmeister, mehr lag wegen seinen bescheidenen Lebensverhältnissen aber nicht drin. Er fühlte sich damals immer als «kleiner Verschupfter».

Fuhrhalter und Kleinbauer
Der Traum von der täglichen Arbeit mit Pferden ging für Erhard Schneider in Erfüllung, als er seine spätere Frau Vreni kennenlernte. Sie stammte aus einer Fuhrhaltereifamilie in Burgdorf. Er war sich bewusst, dass dieses Gewerbe hart und steinig ist. Doch er glaubte daran, dass die Wirtschaft noch lange auf die Pferdekraft angewiesen wäre. Später pachtete das junge Paar auch noch einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb am Stadtrand von Burgdorf. Jetzt konnte er mit seiner Frau zusammen viele Arbeiten mit den Pferden erledigen. Ihre Tage hatten besonders bei gutem Wetter zu wenig Stunden. Pferdetransporte und alle Hofarbeiten wie Pflügen, Walzen, Säen, Häufeln, Ernten, Mähen, Wenden und Heueinführen waren zu erledigen. Damals war der äusserste Zipfel des Pachtbodens vier Kilometer entfernt und fast alle Strassen in der Umgebung geteert. Trotz der anstrengenden Arbeit bezeichnet Erhard Schneider diese Zeit als schönste Zeit seines Lebens.

Lange Zeit mähte Erhard Schneider noch mit Pferdekraft.


Neben der Arbeit auf dem eigenen Hof gab es auch viele Transportaufträge für das Baugewerbe, andere Bauern und die Gemeinde. Alle Einnahmen aus dem Fuhrhaltereigeschäft kann Erhard Schneider noch heute in einem Kassabuch nachweisen. «Wir führten damals Transportarbeiten zum Hungerlohn aus», meint er. Die vorgegebenen Tarife waren schon damals kaum kostendeck­end. «Das Kehrichtwesen der Stadt Burgdorf wurde in den Jahren 1947 und 1948 von meinem Schwiegervater nur ein Jahr lang übernommen, bis klar wur­de, dass die Einnahmen nicht mal reichten, um den Lohn des Knechtes zu decken», erzählt er. Andere Arbeiten waren auch kaum rentabler. «Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden für den Transport von einer Tonne Sand inklusive Auf- und Ablad fünf Franken bezahlt. «Zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben. Nicht ohne Grund litten damals viele Fuhrleute unter Alkoholproblemen.»

Von der moderneren Technik eingeholt
Als der Traktor immer häufiger eingesetzt wurde, muss­te auch Schneider erfahren, dass diese Entwicklung seine Pferde verdrängte. Auch er sah sich gezwungen, vermehrt den Traktor oder den Landrover einzusetzen, obwohl zu Hause zwei Pferde auf Arbeit warteten.

An Liebegg-Kursen «Schaffe met de Ross» gibt er seine grosse Erfahrung gerne weiter.

«Diese Situation war für mich und meine Pferde schlecht», erzählt Schneider. «Die ungleichmässige Auslastung war Gift für meine Tiere und so wurden sie nicht alt. Statt sie langsam an die Arbeit heranzuführen und regelmässig zu beschäftigen, musste alles schnell und unregelmässig geschehen. Doch leider sind heute noch solche Schnellbleichen bei Pferden gang und gäbe», meint er.


Am ersten nationalen Fahrturnier am Start

Erhard Schneider war schon 1965 am ersten nationalen Fahrturnier im solothurnischen Nennikofen am Start. Grossen Wert wurde bei den damaligen Fahrprüfungen auf eine eigentliche Verkehrserziehung gelegt. Weder Hindernis- noch Geländefahren gehörte zum Wettbewerb. Als Prüfungen waren eine Gespannskontrolle und eine einfache Dressurprüfung ausgeschrieben. Zugelassen waren Landwirtschafts- und Geschäftsfuhrwerke, ländliche Gespanne und Fahrer in Militäruniformen. Die Vielfalt der Gespanne, der Wagen, der Geschirre und der Anspannungen war gross und attraktiv, auch wenn die Qualität noch sehr unterschiedlich und verbesserungsfähig war.

Als Trainwachtmeister startete Erhard Schneider 1974 am Fahrturnier in Grosshöchstetten.

Das erste Fahrturnier wur­de unter der Führung von Dr. Paul Wirth zu einem Neubeginn des Schweizer Fahrsportes. Damals reizten grosse Gabentempel, aber auch der Wettstreit mit den EMPFA-Fahrern. «Dank praktischem Können und Alltagserfahrung waren wir nicht immer chancenlos», erzählt er. Gerne erinnert er sich auch an den Einspännersieg in der ZKV-Meisterschaft 1975 auf der Schützenmatt in Burgdorf, als er sich vor seine grossen Vorbilder Theo Falcinelli und Arthur Zaugg einreihen durfte. 18 Jahre lang nahm er mit seinen Pferden an regionalen Turnieren teil. Sein Aktionsradius war aber immer auf eine Tagesdistanz beschränkt, denn die Pferde zu verladen, war für ihn damals nicht einmal eine Überlegung wert.

55 Jahre Begeisterung für den Fahrsport
Als sich die Arbeit mit den Pferden immer mehr zum Freizeitvergnügen entwickelte, trat auch Schneider kürzer und liess sich auf Empfehlung von Fahrchef Peter Bracher zum Fahrrichter ausbilden.  Heute darf er auf 55 Jahre Turniersport zurückblicken. «Vieles hat sich in dieser Zeit verändert. Der Fahrsport ist viel schneller und anspruchsvoller geworden», meint er. «Es gibt keine gewerblichen oder landwirtschaftlichen Prüfungen mehr. Arbeitspfer­de messen sich nur noch in Rückewettkämpfen und sind durch Freizeitpferde ersetzt worden. Heute wird das Pferd nur noch selten für landwirtschaftliche oder gewerbliche Arbeiten eingesetzt. In der Landwirtschaft sind sie durch Maschinen ersetzt worden. Unsere Pferde bringen Veterinären, Hufschmieden, Wagen- und Geschirrhändlern Einkommen und Existenzsicherung. Die Arbeit mit Pferden hat sich zum Kommerz mit Besitzern gewandelt.»

Erhard Schneider und seine Pferde gönnen sich eine Zvierirast.


Da die Ehe kinderlos blieb, waren Erhard und Vreni Schneider gezwungen, den Pachtbetrieb mit Beginn des Pensionsalters abzugeben. Inzwischen ist der Stall umfunktioniert und darin ein Garageunternehmer eingezogen. Die engen Verhältnisse und die stark befahrenen Strassen rund um den Hof lassen kaum mehr erkennen, dass hier mal Kühe und Pferde lebten.

Ruhiger dritter Lebensabschnitt
Der Tod seiner Frau Vreni vor fast einem Jahr war für ihn ein grosser Verlust. Sein Leben ist dadurch ruhiger und besinnlicher geworden. Seine Agenda ist nicht mehr mit Terminen voll. Der Haushalt bestimmt nun seine Freizeit und hat an Bedeutung gewonnen. Ohne Frau und eigene Kinder wurde das Leben für ihn eintönig und langweilig. Noch immer wohnt er in einer grossen Wohnung im eigenen Zweifamilienhaus und bewirtschaftet noch immer selber eine halbe Hektare Wies- und Ackerland. Sei­ne Arbeit für den Fahrsport hat er wegen der Altersguillotine von 75 Jahren beendet. Inzwischen musste er leider auch merken, dass seine Unterstützung auch immer weniger gefragt ist. Schneider hat in seiner Scheune mehrere Chaisen und Breaks. Aber auch noch Ackerbaugeräte fris­ten bei ihm ein stilles Dasein. In einer Dachkammer hängen noch seine Geschirre, die er sorgsam hegt und pflegt. Doch wie Erhard Schneider wird alles nur älter und keiner will sie mehr einsetzen.

1974 am Schaufahren an der Viererzug-WM in Frauenfeld.


Ganz weg vom Geschehen ist Erhard Schneider aber doch nicht. Erst vor Kurzem durfte er im Auftrag der Landwirtschaftsschule Lieb­egg in Gränichen beim Kurs «Schaffe met Ross» zusammen mit André Stähli seine Erfahrungen und Tipps an interessierte Rösseler weitergeben. Auch die Anfrage von Franz Knüsel, dem Ini­tianten des Traditionsturniers in Rothenburg, im Herbst wieder als Gespannsrichter tätig zu sein, freut ihn riesig.

 

 

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 35/2018)

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