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FEI-Partner Longines wird auch die neue Serie grosszügig unterstützen.
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Freude herrscht – oder doch nicht?

08.08.2023 10:03
von  Sascha P. Dubach //

Am Nationalfeiertag gab der Reitsportdachverband FEI mit Verzögerung bekannt, welche fünf – pardon vier – Turniere Teil des erlauchten Kreises der ab 2024 neugestalteten Nationenpreisserie der «Longines League of Nations» sind. Das Erfreulichste: Der CSIO St. Gallen ist mit dabei!

Nach der ersten grossen Euphorie rund um die neue «Longines League of Nations», kurz LLN, gilt es, die Entscheidung aufzuarbeiten. Doch zuerst: Freude herrscht – und zwar vor allem bei den St. Galler Organisatoren um OK-Präsidentin Nayla Stössel, die nun zum erlauchten Kreis von nur noch zwei Turnieren in Europa gehören. Es sei ein Quantensprung, heisst es in der Medienmitteilung. Das stimmt auch, denn für unseren Heim-CSIO ist es quasi ein Ritterschlag. Von den aktuell sechs Division-I-Turnieren haben es vier nämlich nicht geschafft. «Das wir jetzt zu diesen wenigen Plätzen gehören, ist Anerkennung und Ehre zugleich», sagt Stössel. Wenn man die Wettbewerbs­situation weltweit betrachte, sei vor allem auch die Erhöhung der Preisgelder eine grosse Aufwertung. «Wir konnten nicht damit rechnen und mussten uns wie alle anderen bewerben. Wir haben auch Szenarien ausgearbeitet, wie es weitergeht, falls wir nicht berücksichtigt worden wären. Nun sind wir aber froh, ist dies hinfällig.»
Selbstredend ist die Stimmung bei den drei weiteren berücksichtigten Turnieren ebenfalls top. «Wir sind der FEI dankbar, dass sie das ‘World Equestrian Center’ Ocala als Austragungsort ausgewählt hat und danken unserem Verband für die Unterstützung während des Bewerbungsverfahrens», sagte Roby Roberts, CEO der Anlage in Florida (USA). «Das ‘World Eques­trian Center’ wurde auf der Grundlage unserer drei Kernwerte Qualität, Klasse und Unterscheidbarkeit aufgebaut. Die Ausrichtung eines Qualifikationsturniers für die ‘Longines League of Nations’ verkörpert diese Werte und erfüllt ein lang gehegtes Ziel, die bes­ten Reiter der Welt auf unserer Anlage zu begrüssen.» Aus Rotterdam heisst es: «Wir freuen uns sehr über diese Entscheidung, es ist das schönste Geschenk, das wir zu unserem 75-jährigen Bestehen bekommen konnten», so Theo de Rooij, Vorsitzender des CHIO Rotterdam. «Der Nationenpreis gehört zu Rotterdam und ist Teil unseres Erbes und unserer DNA!» Von Seiten Abu Dhabis in den Vereinigten Arabischen Emiraten war – auch auf Anfrage – nichts zu erfahren. Auf der Webseite der «UAE Eques­trian and Racing Federation», dem Veranstalter des CSIO, ist die LLN mit keiner Silbe erwähnt.

Grosse Enttäuschung

Des einen Freud ist des anderen Leid, heisst eine gängige Redewendung. Die St. Galler Euphorie nicht teilen können die «Unterlegenen» wie Fals­ter­bo, Hickstead, Sopot oder Dublin. «Natürlich sind wir sehr enttäuscht über die Entscheidung der FEI und die Art und Weise, wie sie gehandhabt wurde. Dies nachdem wir 50 Jahre lang Gastgeber des Nationenpreises von Grossbritannien waren», sagte Hickstead-Direktorin Lizzie Bunn gegenüber unseren Kollegen von «Horse & Hound». «Wir sind noch immer sehr daran interessiert, einen Nationenpreis zu veranstalten, haben jetzt die Freiheit, andere Sponsoren dafür zu finden. Wir haben das Glück, viele treue Supporter zu haben. Die Herausforderung besteht nun darin, dass wir nur wenige Wochen Zeit haben, um wichtige Entscheidungen über den Zeitplan für die nächstjährige Veranstaltung zu treffen und einen neuen Sponsorenvertrag abzuschliessen.» Ähnlich tönt es aus Fals­terbo in Schweden, wo die Schweiz in diesem Jahr den Nationenpreis gewann. «Das heisst aber nicht, dass wir im Regen stehen bleiben», wird das OK bei «Ridsport» zitiert. «Egal was passiert, wir werden weiterhin ein Fünfsternturnier veranstalten und nun halt ‘ausserhalb’ einer Serie wie Rom, La Baule oder Aachen sein.» Keine Kommunikation gab es bislang von Seiten des OKs des CSIO Dublin in Irland, der heute beginnt und am Freitag den Nationenpreis austrägt. Auf der grünen Insel scheint es aber ein offenes Geheimnis zu sein, dass man – wie dies bereits Rom und La Baule taten – einen Wechsel im Sponsoring von Longines zu Rolex vollziehen möchte.

Zurückgezogene Bewerbungen?

«Aufgrund der Vielzahl der eingegangenen Bewerbungen, die das Interesse an der neuen Serie verdeutlichen, mussten schwierige Entscheidungen getroffen werden. Wir wussten von Anfang an, dass wir nicht alle Organisatoren unterbringen können, die in der Vergangenheit einen enormen Beitrag zur Nationenpreisserie geleistet haben», meinte FEI-Präsident Ingmar De Vos in der offiziellen Mitteilung vom 1. August. Ursprünglich war die Rede von 18 Bewerbern für fünf Qualifikationen plus Final. Wer diese 18 sind, wurde nie bekannt gegeben. Hinter vorgehaltener Hand soll es Bewerbungen auch aus Belgien, Frankreich oder Italien gegeben haben. Auch nicht bekannt wurde, wer von den 18 Bewerbern schlussendlich auch das «Host Agreement» – den eigentlichen Vertrag – tatsächlich und vorab unterzeichnet hat. Gerüchte deuten auch hier darauf hin, dass so einige kurz vor Schluss die Bewerbung zurückgezogen haben.
«Der Vorstand hat vier Qualifikationen für diese globale Serie in drei Regionen vergeben – zwei Qualifikationen in Europa, eine in Nordamerika und eine im Nahen Osten», wird FEI-Generalsekretärin Sabrina Ibáñez in der Medienmitteilung zitiert. «Obwohl wir ursprünglich fünf Qualifikationen geplant hatten, haben wir bedacht, dass das nächste Jahr mit den Olympischen Spielen 2024 in Paris besonders arbeitsreich sein wird. Mit vier Qualifikationsturnieren bleibt der Kalender überschaubar und ermöglicht es den Athleten, Pferden und Equipenchefs, trotzdem genügend Zeit für Training, Wettkämpfe und die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele zu haben.» Nun gut, das ist ein klares Argument. Gleichzeitig wurde auch kommunziziert, dass man ab 2025 eine weitere Station hinzugewinnen möchte. Das kann man so stehen lassen. Ein Schelm, wer nun Böses denkt, denn die FEI weiss seit Jahrzehnten, dass 2024 Olympische Sommerspiele stattfinden werden und spricht in der Bewerbungsausschreibung trotzdem von fünf Stationen. Eine Ausrede also? Wurde kein geeigneter fünfter Veranstalter gefunden? Wir wissen es nicht und werden es wohl auch kaum je erfahren.

Aushängeschild Nationenpreis

Der Nationenpreis sei das Herzstück im Springreiten innerhalb der FEI, heisst es immer wieder. «Wir haben eine his-torische Entscheidung für die Zukunft des Pferdesports getroffen», sagte FEI-Präsident Ingmar De Vos. Wirklich? Genau jetzt muss man auch die Schweizer Brille für einmal ablegen und einen Schritt zurücktreten. Die vier auserkorenen Turniere sind ­sicherlich toll und haben es verdient. Für den Schweizer Reitsport ist es mit St. Gallen zudem eine grosse Aufwertung. Was ist aber mit Aachen, Calgary (Spruce Meadows), Wellington, Rom, Dublin, Falsterbo, Hickstead oder La Baule? Eigentlich doch auch alles Fünfsternnationenpreisturniere von absoluter Weltklasse. Der Final bleibt zumindest – wie üblich und das ist auch gut so – in Barcelona.
Ist die Serie nun wirklich der «Gamechanger» (zu übersetzen mit Revolutionär/Wegbereiter), wie es in der allerersten Ankündigung der FEI hiess? Mitnichten! Nüchtern betrachtet bleibt grob gesagt alles beim Alten, aus-ser das neue Format (ers­ter Umgang vier Reiter mit Streichresultat, zweiter Umgang nur noch drei Reiter ohne Streichresultat) – das von den meisten Aktiven nach wie vor abgelehnt wird –, mehr Preisgeld und die Sicherheit, die jeweils zehn besten Nationen am Start zu haben. Man müsse die Serie global vermarkten können und vereinfachen. Wird jetzt wirklich alles einfacher? «Wieso soll man etwas ändern, das seit Jahren funktioniert?», meinte zum Beispiel Springreiter Steve Guerdat. Jetzt hat man nämlich die neue LLN, die EEF-Serie (aktuell auf Dreisternniveau), die Fünfstern-CSIOs, bei denen Rolex Hauptsponsor ist (Aachen, Calgary, Rom und Co.) sowie die «Wilden» wie nun Falsterbo oder Hickstead und noch weitere. Dazu gesellt sich noch die Global Champions League mit ihrem «Teamspringen», die an 16 (!) Stationen durchgeführt wird. Dort wird der Kalender im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Paris wohl kaum eine Rolle spielen. Eine Vereinfachung? Nein, alles wird nur komplizierter und ändert sich nicht zum Besseren. Schade, die FEI hat in dieser Hinsicht vieles verpasst.

Sommer im Winter?


Ein weiteres Problem, das nun auftaucht, ist der Kalender. Zwei der vier Turniere der LLN finden nämlich aller Voraussicht nach zu Beginn des Jahres statt. Abu Dhabi vom 8. bis 11. Februar und Ocala vom 21. bis 24. März – also eigentlich mitten in der Hallensaison, wo es um die Qualifikation für den Weltcup­final (2024 in Riad, Saudi Arabien) geht. Abu Dhabi ist nur vier Tage nach dem traditionellen Turnier in Bordeaux. Ocala 23 Tage vor dem Weltcupfinal. Hinzu kommt, dass wenn sich eine der zehn Topnationen für eine Teilnahme an der Serie entscheidet, sie auch an allen vier Turnieren plus Final teilnehmen muss. Wenn eine Station, wieso auch immer (ausser höhere Gewalt) ausgelassen wird, ist eine Strafe von 100000 Euro fällig! So steht es im Reglement.
Es ist, wie es ist. Im Grundsatz muss man der neuen Serie vielleicht auch einfach nur eine Chance geben und abwarten, wie sich alles entwickelt. Die Möglichkeit für Retouchen – wie es die FEI selbst schon mit der Wahl eines fünften Turniers ab 2025 ankündigt – ist sicherlich gegeben. Auch darf man gespannt sein, ob das neue, primär für die TV-­Zuschauer ausgelegte Format – ohne Streichresultat im zweiten Umgang – ankommt und ob sich die globalen Einschaltquoten dadurch wirklich dras­tisch erhöhen werden.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 31/2023)

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