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Max E. Ammann
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Standpunkt

Geschichte der Dressur und Schweizer Erfolge (1. Teil)

10.01.2023 10:18
von  Max E. Ammann //

Die Ursprünge der Dressur gehen zurück auf die «Carousels» und «Horse Ballets», die im 16. und 17. Jahrhundert auf den königlichen und anderen adligen Höfen Italiens, Frankreichs und Österreichs stattfanden. Es waren Gruppendressurvorführungen – heute würde man Quadrille sagen. Zu jener Zeit schrieben Federigo Grisone, Antoine de Pluvinel und William Cavendish die ersten Reitlehren (seit dem Griechen Xenophon). Auch in der Schweiz war die erste verbürgte Dressurvorführung ein Gruppenreiten. Es war am 28. September 1884 auf der Kreuzbleiche in St. Gallen. Es ritten drei Soldatengruppen und zwei Unteroffiziersgruppen, je zu sieben bis acht Mann.
Damals gab es im kaiserlich und königlichen Österreich bereits seit über zehn Jahren Einzeldressurprüfungen. Es war die noch heute exis­tierende Campagnereiter-Gesellschaft, die am 25. April 1873 in Pressburg, dem heutigen Bratis­lava, ein Preisreiten durchführte. Bereits im darauffolgenden Jahr zog man in die Hauptstadt Wien, vorerst in die Krieau, dann in den Prater. In den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts kam es auch zu Dressurvorführungen in Frankreich und Deutschland. Als 1902 das italienische Turin den ersten CHI durchführte, belegten Österreicher in der Dressur die ersten vier Plätze. Erst dann als Fünfter ein Franzose und als Sechster ein Deutscher.

Yverdon 1900

Zwei Jahre zuvor, 1900, wurde in Yverdon die erste Einzeldressurprüfung auf Schweizer Boden ausgetragen, und zwar am gleichen Tag mit der ersten verbürgten Schweizer Springprüfung. Oscar Sillig gewann die Dressurprüfung für «Chevaux de Selle». Wer dieser Oscar Sillig war, konnte nicht mit Bestimmtheit ermittelt werden. Im Staatsarchiv des Kantons Waadt lagern Dokumente der ATS («Agence Telegraphique Suisse») der Jahre 1895 bis 2004. Erwähnt wird ein Oscar Sillig, geboren 1836, verstorben 1910. Er wäre bei seinem Sieg in Yverdon also 64 Jahre alt gewesen. Vielleicht war es sein gleichnamiger Sohn?
In den Zwischenkriegsjahren 1919 bis 1939 wurden Dressurprüfungen zu wichtigen Bestandteilen eines Schweizer Concours Hippique, so in Bern, Thun, Basel und Zürich. Vor allem die eidgenössische Pferderegieanstalt in Thun und ihr Concours wurde zum Zentrum des Schweizer Dressursports. Adolphe Mercier (1878 bis 1956) und der jüngere Oskar Frank (1894 bis 1963) wurden die ersten bedeutenden Förderer der Dressur in der Schweiz. 1924 und 1928 ritten die beiden an den Olympischen Spielen, wo es Plätze im Mittelfeld gab. Ebenfalls tätig in Thun waren Bernard de Mestral und der spätere Berner Zeitungsverleger Werner Stuber.

Luzern 1927

Die erste internationale Dressurprüfung in der Schweiz fand 1927 in Luzern statt. Es war die erst sechs Jahre zuvor gegründete FEI, die an die Schweiz gelangte, vorolympische Prüfungen in der Dressur und in der Military auszurichten. Luzern war im Rahmen seines jährlichen CHIO dazu bereit. In der Dressur ritten elf Reiter aus fünf Nationen. Adolphe Mercier wurde mit Queen Mary Zweiter. Dieser CDI von Luzern 1927 gilt als erstes FEI-Dressurchampionat ausserhalb der Olympischen Spiele – als Vorgänger der heutigen WM und EM. Ab 1930 führte die FEI bis 1939 dieses FEI-Dressurchampionat mit Ausnahme der Olympiajahre 1932 und 1936 jährlich durch. 1930 war wieder Luzern Gastgeber, 1934 Thun. In Luzern 1930 wurden Mercier und Frank Neunter respektive Elfter. 1934 in Thun war der spätere Kommandant der Regie, Max Thommen, als Elfter bestplatzierter Schweizer. Im St. Georg, der zweiten Prüfung in Thun, wurde der junge Lt. Hans Moser, der spätere Olympiasieger von 1948, Zweiter. An den Olympischen Spielen 1936 in Berlin nahm Moser als Einzelreiter teil, er endete auf Platz 22.

Moser, Chammartin, Fischer

Das Schweizer Dressurwunder begann nach dem Zweiten Weltkrieg. 1948 durch den Olympiasieg des nunmehrigen Hauptmann Moser auf Hummer, 1949 mit dem Doppeltriumph am wiederaufgenommenen FEI-Dressurchampionat im belgischen Le Zoute, 1951 mit der Organisation dieses Championats in Bern und ab 1952 mit den Erfolgen der EMPFA-Unteroffiziere Henri Chammartin, Gustav Fischer und Gottfried Trachsel.
Die olympischen Dressurwettbewerbe von 1948 in London waren speziell in mehrfacher Hinsicht. Noch immer waren nur Offiziere und Herrenreiter teilnahmeberechtigt – die Damen und Unteroffiziere durften erst ab 1952 olympisch mitreiten. Eingedenk der reduzierten Vorbereitungszeit nach dem Krieg wurde das Dressurprogramm von 17 auf 13 Minuten verkürzt, Piaffe und Passage wurden nicht verlangt. Nur drei Richter wurden aufgeboten – gegenüber deren fünf 1936 in Berlin. Wie bereits in Berlin fiel auch in London der schwedische Richter durch eklatante Bevorteilung seiner Landsleute auf. Er sah sie auf den Plätzen eins, zwei und drei. Dies wiederholte sich 1952 und 1956, bis die FEI, und in der Folge auch das Internationale Olympische Komitee, endlich reagierten. Für 1960 wurden nur zwei Reiter pro Land zugelassen und die Mannschaftswertung wur­de gestrichen. Die Richter kamen aus nichtbeteiligten Ländern. Die Schweden leisteten sich für London 1948 den wohl bizarrsten Betrug. Sie machten den Fahnenjunker (ein Unteroffiziersrang) Gehnäll Persson zum Leutnant. Mit ihm, Henri Saint Cyr und Gustaf Adolf Boltenstern, gewann Schweden Mannschaftsgold. Die Beförderung Perssons erregte kein Aufsehen. Auch der Schweizer Moser war Mitte der 30er-Jahre als Dressurtalent ohne Zusatzausbildung zum Leutnant befördert worden. Aber die Schweden mit der gewonnenen Goldmedaille in der Tasche degradierten den Jungleutnant Persson wieder zum Unteroffizier. Natürlich wurde das bekannt. Die Schweden mussten das olympische Gold zurückgeben.

Olympiagold für Moser

Die Schweiz plante für London 1948 die Entsendung einer Mannschaft. Aber zwei der vorgesehenen Pferde, Cyprian und Format, gingen lahm. So reiste nur Hauptmann Moser mit Hummer und Ersatzpferd Forban nach London. Mit dem verletzungsanfälligen zwölfjährigen Hummer gewann er die Goldmedaille. Aber die beidseitige Huflahmheit von Hummer zwang Moser, bei der Vorführung während der Schlussfeier das Reservepferd Forban zu reiten. 1950 musste Hummer im Rahmen der Auflösung der Regie abgetan werden. Cyprian von Hauptmann Oskar Frank erholte sich von seiner Lahmheit und gewann 1949 den nur von drei Paaren bestritten Grand Prix des FEI-Championats in Le Zoute. Erstmals durften Unteroffiziere starten. Im St. Georg von Le Zoute belegten die zwei Unteroffiziere Trachsel und Fischer (mit drei Pferden) und die drei Offiziere Oskar Frank, Willy Grundbacher und Pierre Mange die ersten sechs Plätze.

Im zweiten Teil schauen wir auf die Geschichte der Dressur und Schweizer Erfolge ab 1950 zurück.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 1/23)

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