Unsere neue Kolumnistin Olga Kuck wohnt in Lenzburg und studiert Publizistik und Kommunikation an der Universität Zürich. In ihrer Freizeit schreibt sie sehr gerne, doch ihre grösste Leidenschaft ist das Reiten. Seit vier Jahren wird sie von ihrem Wallach Cornet’s Yuri begleitet, dessen Heldentaten ihr immer wieder Geschichten für die Kolumne liefern, die ihr gerade zu lesen beginnt. Sie freut sich sehr darauf, euch in ihre kleine Welt mitzunehmen.
Vor ein paar Tagen sass ich abends auf dem Bett und gönnte mir eine Tafel Mitleidsschokolade. Eigentlich war nichts Schlimmes passiert, nur ein deprimierendes Dressurtraining, nach dem ich so sehr an mir zweifelte, dass ich sündigen und mich eine Weile selbst tröstend umarmen musste. Ich schätze unseren Dressurtrainer zum Mond und wieder retour, aber er hat die Ambitionen einer Eislaufmutter und seine Korrekturen sind nicht immer in Worte gepackt, die sich kuschlig in ein Reiterohr schmiegen.
Ich war die zwei darauffolgenden Tage sehr aufgewühlt, mir fielen Dinge aus den Händen, ich streute mein Material über den Hof und als ich es dann auch noch fertigbrachte, den anatomisch geformten Sattelgurt verkehrt herum an den Sattel zu schnallen, wusste ich, dass es höchste Zeit war, um meine Persönlichkeit zu reinigen und alle möglichen Chakren zu schubladisieren. Kurz: Ich musste alleine ausreiten.
Schon seit ich zu Pferd unterwegs bin, liebe ich es, alleine auszureiten. Wisst ihr was das Beste daran ist? Das Nichts. Keine Absprachen, keiner mötzelt, niemand hetzt oder trödelt rum. Normalerweise habe ich für die meisten meiner Vorhaben einen Plan – nicht so bei den Egoflügen, denn da geht nur um das Unproduktivsein. Ich starre die Gegend an, denke mal dieses oder jenes und komme dabei dank meinem Pferd auch noch von A nach B. Es passiert sogar, dass ich mich dazu erdreiste gelangweilt zu sein und das ist genial, weil ich mir das sonst im Leben verbiete. Und eingebettet in das rhythmische Geräusch des Hufschlages, kommen mir oft ganz plötzlich die besten Lösungsansätze für fast alles. So schön.
Aber versteht mich nicht falsch, eigentlich bin ich sehr gern um andere Reiter und geniesse das Beisammensein im Stall. Doch denkt euch die Dinge mal so: Ist es nicht wunderbar, dass gerade der Sattel einer der wenigen Orte ist, an denen man eigentlich gar keine Gesellschaft braucht? Ein Einplätzer, der keinen anderen, zwingenden Anspruch an sich selbst stellt, als das Alleinsein komfortabler zu machen? Trotzdem fallen Reiter wie ich, die ab und zu eine Portion Isolation schätzen, so sehr auf, dass ich manchmal aus Angst vor sozialer Ächtung zusage, wenn mich jemand begleiten möchte. «Ich chume mit. Dänn muesch nid alleige go!», heisst es. Dabei bin ich nicht mal allein, ich habe doch noch Cornet an den Backen, denke ich mir dann. Und manchmal ist ein Pferd Gesellschaft genug, vor allem eines wie er. Cornet weiss nämlich genau, wann der Zeitpunkt gekommen ist, an dem man auch gar nichts zu sagen braucht.
So zogen mein Pferd und ich vorgestern los, um einzig und allein gemeinsam einsam zu sein. Zwei Stunden dauert in der Regel meine Regeneration in Form eines Ausrittes und an diesem Tag erwischte ich auch noch das in meinen Augen optimale Wetter (graue Wolken und frischer, mückenfeindlicher Wind). Ich spürte immer mehr, wie ich wieder zur alten Form zurückfand: vom Takt meines Pferdes ins seelische Lot gependelt und teflonbeschichtet gegen dressurmässigen Frust. Wieder startklar für alle Schandtaten und den Alltag, der mir morgen früh wieder links und rechts um die Ohren fliegen würde.
Als ich retour im Stall ankam, lief ich zwei Stallgspändlis in die Arme, die sich meiner sofort annahmen: «Bisch ganz einsam gsi go usritte? Bi däm Schisswetter? Nei, hättsch doch öppis gseit!», meinte meine Freundin. Ich bedankte mich und versprach, das nächste Mal Bescheid zu geben. Ich habe die besten Wesen um mich herum – auch das ist etwas, was mir nach meinen Soloabwesenheiten immer wieder klar wird. Und es war unglaublich lieb, dass sie an mich dachten. Dabei war ich die letzten zwei Stunden gar nicht einsam gewesen. Nur wunderbar allein.
Es gibt viele Reiter, die erfolgreich sind. In solchen Fällen scheint es, als ob man ihnen jedes Pferd unter das Füdli schieben könnte und sie reiten es ohne Umwege zur Plakette. Dank der Zahlen-gleich-Fakten-Leier, die sich über unseren Alltag ausgebreitet hat wie ein Krake, liegt die Vorstellung nah, dass erfolgreiche Reiter automatisch auch talentiert sind. Damit bin ich nicht ganz einverstanden und habe mich gefragt, was Talent für mich bedeutet.
Um Leistung zu messen, müssen unromantische Vergleiche gezogen werden. Was Prüfungen und Turniere betrifft, ist das auch voll okay, aber ganz grundsätzlich finde ich das mit den Vergleichen schwierig und nicht unbedingt nutzbringend. Hui, denkt euch diesen Teufelskreis einfach mal zu Ende. Es wird immer jemand besseres geben, immer jemand, der mehr bezahlen kann, immer jemand, der schneller ist oder mehr Zeit hat – und dann erfolgreicher ist.
Talent jedoch war vor all dem Ganzen da, denn es ist individuell und lässt sich weniger steuern, wie der Rang auf dem Turnier und damit der im geläufigen Verständnis gemeinte «Erfolg». Ich glaube, Talent ist im Gegensatz dazu ein unglaublich dehnbarer Begriff und von dieser Flexibilität sollten wir Gebrauch machen. Damit möchte ich nicht sagen, dass du bitte sofort einen Ego-Push-Instagram-Post rausballern sollst. Das machen wir Reiter sowieso schon gern und gut genug. Aber es ist wichtig, sich ehrlich einzugestehen, woran das Herz hängt. Ein kluger Kopf hat mir mal gesagt: Finde raus, was du bist und du kannst viel einfacher werden, was du sein willst.
Kleiner Vergleich: Ich habe vor meinem jetzigen Traumstudium drei ewige Jahre lang Recht studiert. Meine Bachelorarbeit an der Uno in New York bekam eine Auszeichnung, aber ich würde mich selbst anlügen, wenn ich sagen würde, dass ich talentiert war für das Rechtsgebiet. Es ging völlig an mir vorbei. In der gleichen Zeit schlug ich mich damit herum, Klein-Cornet den Kreuzgalopp auszutreiben. Nach hundert nervtötenden Erklärungsversuchen hatte er das mit dem Beinesortieren begriffen und katapultierte mich in ein gefühlsmässiges Hoch. Nur aus dem einfachen Grund, weil er zum ersten Mal die ganze Bahn richtig galoppiert ist.
Bin ich nun talentiert, weil ich es geschafft habe, mein damals dreijähriges Pferd zwischen Podex und Boden im richtigen Galopp zu halten? Ich weiss es nicht. Vielleicht schon, wenn Talent das Streben nach der Leidenschaft bedeutet, der man auch in den Augenblicken nachgehen will, die das tiefste Höllenfeuer in einem wecken. Unter dem Strich meiner Rechnung würde das bedeuten: Talent zeigt sich dort, wo man am Ende des Tages glücklich wird. Und wenn mich etwas happy macht, habe ich den pursten, ehrlichsten Erfolg.
Cornet’s Talent ist das Springen. Wenn ich mein Pferd beim Freisprung beobachte, fällt mir das besonders auf. Und bevor hier die ersten eingefleischten Tierschützer hysterisch im Kreis rennen: Ja, ich glaube wirklich daran, dass mein Pferd gern springt. Es wäre auch ignorant zu behaupten, dass meine Definition von Talent für Cornet eine andere ist, als für mich selbst. Vielleicht ist er in einer anderen Ausgangslage, weil er das Resultat gezielter Zucht ist, aber dafür trägt er keine Schuld und so wie ich ihn kenne, wäre ihm diese Tatsache auch egal.
Es ist eines der vielen Dinge, die er mich lehrt: Wenn es drauf ankommt, denkt er nicht besonders viel nach, sondern zeigt instinktiv das, was sich richtig anfühlt. Darunter fallen zu meinem Pech keine dressurmässigen Beanspruchungen, aber Talent ist nicht alles und das Fehlen davon keine Ausrede, um Herausforderungen aus dem Weg zu gehen. «No scope, no hope?» («kein Spielraum, keine Hoffnung?») Fake News! Wo Talent aufhört, kann man sich mit Fleiss einige Schritte weiterhelfen. Gut, unsere Schulterherein erkennt man nur mit viel Phantasie, aber Enthusiasten wie uns ist die Aussenwirkung nicht so wichtig. Schlussendlich bleibt mein Pferd für mich eh der Beste und das weiss er ganz genau. Einerseits, weil der kleine Teufel in seinem Selbstverständnis nach Gott ist und meine Seele besitzt, andererseits, weil er nichts anderes sein will, als er schon lange ist: mein cooler, leicht zu begeisternder Freund.
Ich hatte nie ein genaues Ziel mit Cornet. Mein Vorsatz war es nur, ihn in den Talenten zu fordern, die er mir anbietet. Das tönt im ersten Moment krass sozialromantisch, aber jetzt mal ehrlich: Alles andere wäre sehr realitätsfremd. Er wird genauso wenig je zu einem levadierenden Dressurpferd werden, wie ich Anwältin. Warum? Vielleicht weil unsere Talente woanders liegen. Was ist dein Talent?
Turniere zu reiten ist ein harter Job. Was sich da zwischen Anhänger und Jurywagen zuträgt, ist teilweise an Absurdität nicht zu toppen. Weltweit gelingt es bis heute nicht, den Frieden dauerhaft zu bewahren und dieses Naturgesetz macht selbst vor der Pferdewelt nicht Halt. Auch die zwischenreiterliche Harmonie ist ein zartes Pflänzchen und oft genügt ein kleines Detail – zack, schon kommt es zum Ausbruch einer hysterischen Pöbelei. Erleben möchte man es eigentlich nicht immer, aber es macht rückblickend immer Spass, darüber zu erzählen. Mein Lieblingsthema: das Warmreiten auf Springturnieren.
Manchmal kommt es mir so vor, als würde der Wettbewerb schon auf dem Abreitplatz beginnen. Hier werde ich knallhart für meinen Optimismus abgestraft und ab und zu sogar im wortwörtlichen Sinn auf den Boden der Tatsachen geholt. Es ist sandig hier unten. Dort angekommen frage ich mich jedes, wirklich jedes einzelne Mal, warum ich mir die Turnierreiterei überhaupt antue. Wieso kann ich mich nicht einfach damit zufriedengeben, mit Cornet gemütlich durch Wald und Wiese zu schleichen? Aber «au contraire», das wäre mir dann wahrscheinlich wieder viel zu leicht.
Ja, manchmal komme ich mir auf dem Abreitplatz vor wie auf einem Tretminenfeld. Die Gründe sind eigentlich immer dieselben: Mangel an Platz (sobald der letzte Sprung der Prüfung steht, versammelt sich Kraut, Rüebli und die dazugehörende Sippschaft auf dem Viereck), Mangel an Material (alle wollen auf der A-Volte reiten, wir haben aber nur eine), Mangel an Denkkapazität (nach den Kunstwerken, die gewisse Reiter aus ein paar Stangen und Böcken hinpflanzen, müsste man eine neue Kunstära benennen und wo war nochmal rechts?). Der helle Wahnsinn!
Wenn die Gemüter immer gereizter werden, die Peitschen immer lauter knallen und die Ersten schon durch die Tücken des Lebens ausselektioniert wurden, gilt es, sich die eigene Verzweiflung nicht anmerken zu lassen. «Survival of the fittest» schiesst es mir dann jeweils durch den Kopf, du bist eine kämpferische Natur, du darfst keine Schwäche zeigen! Pferde riechen Angst und auch die sind froh drum, das schwächste Glied mit einem gezielten Huftritt aus dem Platz zu mobben, um sich dann endlich in Ruhe warmreiten zu lassen.
Zügellos wird die ganze Geschichte, wenn die Prüfung eingeläutet wird. Oft bilden sich zu diesem Zeitpunkt die ersten Zwecksfraktionen: Eltern, TTs oder Pferdebesitzer (wenn man Pech hat, wird alles durch eine Person verkörpert) gegen die Konkurrenzparteien. Mistboys werden zu Lanzen, Abschwitzdecken zu Abwehrdämpfern, Gelnägel der Mamis zu Nahkampfwaffen. In jedem Reiter keimt plötzlich der kriegerische Wunsch auf, sofort den Oxer reiten zu müssen und mir und meinem ahnungslosen Ross bleibt nur noch die hinterste Ecke der Bahn, um dem Schussfeuer aus Hufen, Flüchen, fliegenden Hindernisstangen und – wenn man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist – auch Reitern zu entgehen.
Meist ist das der Moment, in dem ich meine patentierwürdige Geheimwaffe einsetze: altmodische Anstandswerte. Hobbycholeriker sind so schockiert über ein «Sorry, ha di nid gse», dass sie sich beschämt selbst heilen, die Tränli trocknen, so rasch wie sie losgeflossen sind und das Karma der laufenden Prüfung scheint gleich ein bisschen sauberer. Entschuldigungen oder Vortritte sind zwar ganz offensichtlich nicht mehr hip und trendy, weil uns wegen #yolo für solche Belanglosigkeiten keine Zeit bleibt, aber das Resultat ist fantastisch, versprochen.
Vielleicht trete ich mit diesem Text ja einen Anstands-Hype aus, das wäre schön. Bis zum Eintritt einer globalen Wirkung werde ich aber vermutlich keine Turniere mehr reiten. Ganz entgehen lassen kann ich mir dieses Schauspiel endslebens wahrscheinlich nicht. Dann sitze ich am Rand und geniesse das Ganze mit gesundem Sicherheitsabstand. Mental wie physisch. Erleben möchte man den Krieg auf dem Abreitplatz vielleicht nicht immer, aber es macht rückblickend immer Spass, darüber zu schreiben. Irgendjemand muss es doch tun.
Letzte Woche hatte ich im Stall einen kleinen Erleuchtungsmoment. Als ich Cornet über das frisch gebürstete Fell strich, wurde mir wieder mal bewusst, dass ich mein Pferd schon vier ganze Jahre besitze. Es wäre hart untertrieben zu sagen, dass ich während der vier Jahre dazugelernt habe. Das erste eigene Pferd, das verändert einen komplett, das sage ich euch. Heute bin ich ein anderer Mensch. Ich glaube, dass dasselbe ebenso für Cornet gilt, denn auch er ist an seiner Aufgabe als reitbarer Untersatz und Zentrum des «Olgaversums» gewachsen. Diesen Gedanken spinnte ich weiter und kam zu ein paar Erkenntnissen, die ich in vier Jahren als praktizierende Cornet-Besitzerin gelernt habe. Heute mit den beiden letzten Teilen 3 und 4.
Teil 3: Fehler machen Meister
Früher hatte ich Angst vor dem Scheitern. Wenn mir vor einem Concours durch die Gedanken waberte, dass dies oder jenes schiefgehen könnte, war meine Laune im Keller. Was passiert, wenn ich einen Fehler mache? Das sieht ja praktisch die ganze Welt? Dank Cornet und seiner Ausbildung hat sich meine Sicht massiv aufgetan, denn Fehler und Missverständnisse wurden zur Tagesordnung. Ich verstehe nicht immer, was in seinem Kopf passiert, genauso versteht auch er mich manchmal (okay: sehr oft) nicht. In den vier Jahren habe ich nicht nur gelernt, geduldiger mit ihm zu sein, sondern auch mit mir selbst. Und ich musste einsehen: Zuoberst auf dem Siegertreppchen zu stehen, ist super, aber Erfolge machen mich bequem und phlegmatisch, Fehler und neue Ziele dagegen sehr hungrig.
Frage: Muss man überhaupt zwingend erfolgreich sein, um glücklich zu werden? Ich glaube nicht. Solange man etwas oder jemand hat, bei dem man sich zu Hause fühlt, wird man doch geschenkt glücklich. Das sollte der Ansporn sein, nicht die Schleife (kommt übrigens auch günstiger). Ich habe noch nie etwas mit so einer bedingungslosen Hingabe getan, wie die Arbeit mit Cornet und ich würde jedem Einzelnen da draussen wünschen, dass er oder sie auch so etwas findet. Wahrscheinlich werden mir einige nicht glauben, welchen Einfluss Cornet der Fellknäuel auf mein Leben hatte und bestimmt noch haben wird. Und wisst ihr, was? Manchmal glaube ich es selbst kaum.
Teil 4: Airolo–Göschenen
Standardisierten Moralpredigten über das Geld in der Pferdewelt, die angeblich totalitäre Herrschaft der guten Abstammung und die grundlegende Unfairness des Lebens – ich kann das alles nicht mehr hören. Ja, viele Reiter sind garstige Grossmäuler, die sich gerne selbst bejubeln (man findet aber solche Exemplare der Gattung Mensch auch ausserhalb der Stallgasse), worüber ich mich tief im Inneren schon seit Jahren herrlich amüsiere. Ein Weltuntergang ist das aber nicht und es ist mir mittlerweile zu mühsam, alles und jeden so nah an mich ranzulassen. Reiter zu sein, bedeutet, dass man in eine riesige, soziale Nische geworfen wird, gemeinsam mit vielen anderen Menschen, welche zwar einen gemeinsamen Nenner haben, die aber sonst wenig bis absolut nichts miteinander verbindet. Kurz: der ideale Nährboden für Konfliktherde.
Wenn ich zurückschaue, bin ich fast ein bisschen erstaunt, dass gerade ich, die gefühlt harmoniebedürftigste Person der Welt, diese dauernden Unstimmigkeiten unter den Pferdemenschen aushalte. Wer behauptet, dass der Reitsport ein lässiger Ausgleich zum hektischen Alltag ist, stand noch nie auf dem Abreitplatz vor einer Springprüfung. Oder stolperte im Stall mitten in ein fremdes, östrogengeladenes Geplänkel. Seit ich zum ersten Mal den Fuss in den Steigbügel gesetzt habe, war mir auf jeden Fall nie mehr langweilig. Wird die Reiterwelt ihrem Wendy-Image gerecht? Niemals. Ist sie imstande, auch dem geduldigsten Menschen den letzten Nerv zu rauben? Auf jeden Fall. Lohnt es sich trotzdem, dabeizubleiben? Absolut. Hilfe für den Ernstfall: Augen schliessen, auf siebentausend zählen und das Geschehene durch den Tunnel im Titel ziehen lassen.
Wahrscheinlich werden mir einige nicht glauben, welchen Einfluss Cornet auf mein Leben hatte und bestimmt noch haben wird. Und wisst ihr, was? Manchmal glaube ich es selbst kaum. Es würde mich freuen, von euren Erlebnissen zu lesen. Schreibt uns auf @kurzkehrt oder kuck@pferdewoche.ch!
Gestern hatte ich im Stall einen kleinen Erleuchtungsmoment. Als ich Cornet über das frisch gebürstete Fell strich, wurde mir wieder mal bewusst, dass ich mein Pferd schon vier ganze Jahre besitze. Es wäre hart untertrieben zu sagen, dass ich während der vier Jahre dazugelernt habe. Das erste eigene Pferd, das verändert einen komplett, das sage ich euch. Heute bin ich ein anderer Mensch. Ich glaube, dass dasselbe ebenso für Cornet gilt, denn auch er ist an seiner Aufgabe als reitbarer Untersatz und Zentrum des
«Olgaversums» gewachsen. Diesen Gedanken spinnte ich weiter und kam zu ein paar Erkenntnissen, die ich in vier Jahren als praktizierende Cornet-Besitzerin gelernt habe. Heute Teil 1 und 2 von 4.
Teil 1: Ade Mutti-Modus
Als Cornet im späten 2013 zu mir kam, war ich nebst der obligatorischen Oktobererkältung anderweitig krank: nämlich krank vor Sorge. Jedes ausgefallene Schweifhaar habe ich als Symptom für eine Krankheit diagnostiziert. Mindestens tödlich. Dann wurde gegoogelt bis die Tasten brannten (bei Pferdekrankheiten gilt: es gibt nichts, was es nicht gibt) oder der leere Akku meinem Wahnsinn ein Ende setzte. Mein Umfeld fand es total unterhaltsam, dass ich zu so einer Henne mutiert war. Ich fand es anstrengend, denn ich erkannte mich teilweise selbst nicht mehr. Wer das Herz an etwas verliert, verliert gleichzeitig auch ein bisschen den Verstand.
Kolumnistin Olga Kuck mit Cornets Yuri.
Heute habe ich mir eine angenehme Gelassenheit und ein dickes emotionales Fell wachsen lassen. Oh, wieder zwei Quadratmeter Fell bei irgendeinem Gerammel weggeschranzt? Passiert, er ist ein Bub. Eisen ab? Okay, ist erst das 13423. Mal. Wer die ersten drei Tierarztrechnungen bezahlt und den dazugehörenden Weltschmerz überlebt hat, den kann auch im nichtpferdigen Alltag mental nichts mehr killen. «Huut und Hoor wachst s ganz Johr.» ist zu einem meiner Lebensmantras geworden.
Meine Gelassenheit bezieht sich aber auch auf andere Bereiche. Ich habe gelernt, dass es sich nicht immer lohnt, an Sachen festzuhalten. Manchmal können noch viel, viel schönere Dinge passieren, wenn man den Mut hat, loszulassen. Seien das die Zügel oder das Leben allgemein.
Teil 2: «Bad Boys» sind out
Damals, als ich noch jung war (genial, das wollte ich schon immer mal schreiben), hatte ich eine Schwäche für schwierige Pferde. Irgendetwas in mir fühlte sich von Bockern und all den Unnahbaren angezogen und dadurch fanden auch genau solche Pferde ihren Weg zu mir. Es ging mir nie darum, meine Fähigkeiten als Mustangstreichler unter Beweis zu stellen, die Gründe waren eher pragmatischer Natur. Manchmal wurde ich angefragt, da ich mich in meinem jugendlichen Leichtsinn auf alles draufgesetzt hatte, was mir unter den Sattel kam (je mehr und vor allem je arschiger, desto spannender). Manchmal war es das Interesse an der Situation, denn ich mag die Momente, wenn ich den Knopf im Pferdekopf verstehe. Gerade in Bezug auf das Reiten glaube ich, dass mir diese Neugier viel Demut beibrachte.
Heute weiss ich: Ich hatte Schwein, dass mir bei all den Aktionen nie etwas Gröberes passiert ist. Jetzt geniesse ich es, den Luxus zu haben, mich nur auf Cornet konzentrieren zu können – der auch regelmässig den «Bad Boy» raushängen lässt, aber beim eigenen ist es eine ganz andere Sache. Seit vier Jahren investiere ich alle blauen Flecke in eine feste Beziehung und der Rest interessiert mich nicht mehr. Wenn schon leiden und an sich arbeiten, dann nur für den einen, ganz besonderen Pony-Herzbuben, dessen Blick mich jeden Tag schachmatt setzt.
Wahrscheinlich werden mir einige nicht glauben, welchen Einfluss Cornet auf mein Leben hatte und bestimmt noch haben wird. Und wisst ihr, was? Manchmal glaube ich es selbst kaum. Es würde mich freuen, von euren Erlebnissen zu lesen. Schreibt uns auf @kurzkehrt oder kuck@pferdewoche.ch.
Hallo lieber Reiter!
Ich freue mich, dass du bei «kurzkehrt» Halt gemacht hast! Dürfen wir uns vorstellen? Das Team dieser Kolumne bilden mein Wallach Cornets Yuri und ich – der die Ehre gebührt, sich als dazugehörende Menschin bezeichnen zu dürfen. Seit vier Jahren wird der Oldenburger von mir schonungslos geliebt, rücksichtslos bemuttert und nach seiner Lust und Laune ausgebildet.Mit seinen 162 Zentimetern ist Cornet ein ganz handliches Pferd, was für mich viele Vorteile mit sich bringt: Die Putzfläche ist auf einen gemütlichen Rahmen beschränkt und durch den Jö-Effekt generiert mein Pferd Sympathie am Laufband. Ausserdem kann ich runterfallen, wo immer ich will, denn ich komme auch überall wieder problemlos ohne Aufstiegshilfe aufs Pferd.
Kolumnistin Olga Kuck mit Cornets Yuri.
Cornets Hobbys sind es, hübsche Muster in sein Sattelfell zu fressen, fest verknotete Stricke zu lösen und mir voll Übereifer alles Mögliche zu apportieren, das nicht niet- und nagelfest ist. In seiner übrigen Freizeit springt Cornet schon einen sauberen R1-Parcours, je nach Tagesform mit oder ohne Reiter. Ausserdem hat er genauso wie ich eine Schwäche für Bananen-Chips und einen Hang zu friedlichen, aber entschlossenen Diskussionen.
Zu Cornet habe ich einen ganz besonderen Bezug, der tiefer geht als Freundschaft. Ich kann das nicht beschreiben, aber das ist eigentlich auch gut so, weil uns das Raum lässt, alles Verschiedene sein zu können und uns trotzdem immer wieder zusammenzufinden. Und dafür schlägt mein Herz, genau darüber möchte ich schreiben. Dieses Spiel zwischen zwei so unterschiedlichen Wesen, das auf wunderbare, unerklärliche Art und Weise funktioniert. Ich möchte weiche Texte schreiben und Sätze, die nach Heu, Mähnenspray, dem Alltag und der grossen Liebe riechen. Die grundlegenden Dinge eben, denn das, was ich durchlebe, erlebt ihr auch.
Du möchtest uns besser kennenlernen? Das freut mich, man liest sich bald wieder. Unterdessen tun Cornet und ich das, was wir nicht lassen können: Er spinnt und ich schreibe darüber.